Finsteres Verlangen
damals einverstanden erklärt, Jean-Claude als Nebenbuhler zu dulden, war aber nicht bereit gewesen, mit mir und ihm gleichzeitig ins Bett zu gehen. Er würde alles auf den Stand von damals zurückdrehen wollen. Und das konnte ich nicht.
Also, was würde ich tun, wenn Richard jetzt an meine Tür klopfte? Ihn in unsere Wanne einladen, zusehen, wie er ein verletztes, wütendes Gesicht zieht und wieder abdampft. Ich könnte also eigentlich nur Nein sagen. Die Frage war: Hätte ich die Kraft dazu? Wahrscheinlich nicht.
23
I ch tauchte nur so weit aus dem Schlaf auf, dass ich Stimmen hörte. Zuerst Micahs. »Was hat Gregory gesagt?«
»Dass sein Vater versucht, zu ihm Kontakt aufzunehmen.« Cherrys Stimme.
»Warum ist das so schlimm?«
»Er hat ihn und Stephen als Kinder zum Sex angeboten.«
»Immer wenn ich glaube, alles Furchtbare schon einmal gehört zu haben, werde ich eines Besseren belehrt«, sagte Micah.
Mühsam kriegte ich die Augen auf; es war, als ob jedes Lid einzeln einen Zentner wöge. Ich sah Micah neben mir liegen. Er stützte sich auf einen Ellbogen. Cherry stand neben dem Bett. Sie war groß, blond und schlank, hatte eine lange Taille und einen jungenhaften Kurzhaarschnitt. Sie war angezogen, was für meine Werleoparden ungewöhnlich war, und außerdem ungeschminkt, und das hieß, sie war in Eile. Entweder wollte sie gerade das Haus verlassen, oder es war etwas nicht in Ordnung. Natürlich traf Letzteres zu.
Ich bemühte mich, wacher zu werden, damit ich auch etwas sagen konnte, aber das war anstrengender als erwartet. »Was hast du über Gregory gesagt?« Meine Stimme klang schwer und belegt.
Cherry beugte sich herab, und ich fand es schwierig, die Augen auf die sich ändernde Entfernung einzustellen. »Wusstest du, dass Gregory und Stephen als Kinder missbraucht worden sind?«
»Ja«, sagte ich und blickte stirnrunzelnd zu ihr hoch. »Hast du gesagt, ihr Vater hat sie als Kinder zum Sex angeboten?« Vielleicht hatte ich das ja nur geträumt. Oder missverstanden.
»Das hast du nicht gewusst«, stellte Cherry fest. Sie machte ein sehr ernstes Gesicht.
Plötzlich war ich hellwach. »Nein.«
Zane kam mit Nathaniel im Arm herein. Zane war eins dreiundachtzig groß und ein bisschen zu dünn für meinen Geschmack. Aber da er mit Cherry zusammenlebte, war es nicht mein Geschmack, der zählte. Seine sehr kurzen Haare waren zurzeit weißblond. Es war das erste Mal, dass ich eine natürlich vorkommende Haarfarbe an ihm sah. Ich hatte keine Ahnung, was seine eigentliche Haarfarbe war.
Er trug Nathaniel wie ein Kind auf den Armen. Dessen fast knöchellange, kastanienbraune Haare waren zu einem Zopf geflochten; Zane hielt ihn in der Hand. Wenn man Nathaniel trug, ohne die Haare mit hochzuheben, konnte man leicht darüber stolpern. Ich blickte auf seinen nackten Rücken.
»Er hat eine Unterhose an«, versicherte Zane. »Wir kennen die Regeln. In deinem Bett wird nicht nackt geschlafen.« Er drehte sich ein wenig, sodass ich die Satinjoggingshorts sah, die Nathaniel immer als Schlafanzug trug.
Ich wollte mich auf einen Ellbogen stützen, fand es aber zu anstrengend. So begnügte ich mich damit, mit offenen Augen auf dem Rücken zu liegen. »Wie geht es ihm?«
»Gut«, antwortete Micah.
Ich sah ihn an. Es sollte ein skeptischer Blick werden, was mir aber nicht gelang. Darum sagte ich laut: »Er wirkt komatös.«
»Sag was, du faule Katze«, befahl Zane.
Während er ihn zur anderen Seite des Bettes trug, drehte Nathaniel äußerst langsam den Kopf und sah mich aus lavendelblauen Augen an. Er lächelte träge. Er schien genauso müde zu sein wie ich. Verständlich, oder? Schließlich war er aus dem gleichen Grund zusammengeklappt wie ich – weil ein Vampir ihn ausgesaugt hatte. Die Ardeur saugte zwar kein Blut, aber ansonsten machte es kaum einen Unterschied.
Micah schlug die Decke zurück und stand auf. Zum Glück zeigte er mir nur seine makellos braune Rückseite. Wahrscheinlich war ich zu müde, um in Versuchung zu geraten oder vielleicht auch nur um in Versuchung geraten zu wollen. Mit dem Rücken zu mir zog er sich an, aber als er sich umdrehte – mit geschlossenem Reißverschluss –, schien er genau zu wissen, dass ich ihn beobachtet hatte.
Seine dunkelbraunen Locken fielen weich auf seine Schultern. Eine Kopfbewegung ließ das dichte Haar nach vorn gleiten, sodass es seine ungewöhnlichen Augen einrahmte, die jetzt gelbgrün leuchteten.
»Wenn du nicht endlich aus ihrem Blickfeld
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