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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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inne, als Mathias hinter dem Mädchen her die Holztreppe hinaufging.
    Es war etwa in Mathias’ Alter, vielleicht ein wenig älter. Es trug eine Arbeitsschürze über einem groben Rock und einer Bluse. Es hatte dunkles, rotbraunes Haar, das im Nacken fest zusammengebunden war und unter einer gefütterten Lederkappe hervorlugte. Oben angelangt, folgte er ihm einen schmalen Flur entlang, dessen Fenster auf einen Hof mit Ställen hinausgingen. Am Ende befand sich eine hölzerne Tür. Das Mädchen trat beiseite.
    »Du klopfst«, sagte es atemlos und in scharfem Ton. Er merkte, dass es Angst davor hatte, an die Tür zu klopfen. Aber er hatte auch Angst.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    Das Mädchen blickte zur Tür, als wollte es nicht gehört werden, nicht hineingezogen werden in was immer es war.
    »Bitte sag’s mir«, beharrte er.
    Das Mädchen schaute ihn unsicher an. »Katta«, sagte es und zeigte auf die Tür.
    Er klopfte so schüchtern, dass seine Hand auf dem Holz kaum ein Geräusch machte. Er blickte Katta an. Sie nickte und machte ihm ein Zeichen, er solle noch einmal klopfen. Er tat es und dieses Mal öffnete sich die Tür.

Marguerite
    Katta beobachtete, wie der frierende, blasse Junge den Raum betrat und die Tür sich hinter ihm schloss. Die ganze Situation war ihr nicht geheuer. Der große Mann mit dem Mondgesicht und dem Gehstock hatte ihr Angst gemacht. Der Junge hatte nichts mit ihm zu tun. Davon war sie so felsenfest überzeugt, als hätte man es ihr gesagt. Aber er war nun einmal da und sie war auch da und führte ihn die Treppe hinauf und zeigte ihm, wo das Zimmer war.
    Man weiß, dass manche Dinge falsch sind, ohne dass man darüber nachdenken muss. Es ist falsch zu lügen, aber jeder tut e s – manchmal. Es ist falsch, etwas an sich zu nehmen, was einem nicht gehört, oder jemandem wehzutun, nur weil es Spaß macht. Aber es gibt noch andere, größere Dinge. Dinge, die so falsch sind, dass allein der Gedanke daran einen innerlich zusammenzucken und tief Atem holen lässt. So fühlte sich Katta, als sie sah, wie die Tür der Kammer zuschlug. Sie hätte beinahe die Hand ausgestreckt und Mathias an der Jacke gepackt, um ihn am Eintreten zu hindern, aber sie tat es nicht, und da war es schon zu spät. Die Tür war zugefallen.
    Sie trat einen Schritt vor und legte vorsichtig das Ohr ans Holz. Sie hörte die Stimme des Mannes drinnen, verstand aber nicht, was er sagte. Jemand unten im Haus rief laut nach ihr. Sie versuchte die Stimme auszublenden, damit sie hören konnte, was in dem Zimmer passierte. Doch der Rufer verlangte immer nachdrücklicher, geradezu wütend nach ihr. Sie trat von der Tür zurück, wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich schürzte sie ihren Rock und lief den Korridor hinunte r – und konnte trotzdem nicht anders, als anzuhalten, nur ein einziges Mal, und sich umzusehen. Immerzu musste sie an das blasse Gesicht des Jungen denken. Aber man hatte nach ihr gerufen und außerdem hätte sie ohnehin nichts ausrichten können.
    In dem Zimmer stand ein großes Baldachinbett mit schweren Vorhängen. Darüber hinaus gab es eine Truhe, einen Schrank und einen langen Tisch. Das Morgenlicht schien durch die kleinen bleiverglasten Fenster auf diesen Tisch. Gustavs sämtliche Habseligkeiten waren darauf ausgebreitet. Doktor Häller saß davor. Er hatte seine Jacke ausgezogen und rasierte sich vor einer Schale Wasser. Auf einem Teller lagen die Reste seines Frühstücks.
    Mathias hörte die Tür hinter sich zufallen und drehte sich um. Für einen Moment dachte er, dort stünde ein Kind wie er oder das Mädchen, das ihn heraufgeführt hatte. Doch sofort wurde ihm die Täuschung klar: Die Gestalt hier war kein Kind. Sie war ein Mann, kaum größer als Mathias, korpulent und gedrungen, sodass sein Körper tonnenförmig wirkte. Er trug einen schweren zweireihigen Mantel, der bis zum Kinn zugeknöpft war. Sein Haar glich schmutzigem Draht und hing ihm über den Kragen. Mathias hielt unwillkürlich den Atem an. Das Gesicht des kleinen Mannes war missgebildet, so als sei es bei seiner Erschaffung um ein Viertel in sich gedreht worden. Er erwiderte Mathias’ Blick, neigte den Kopf spöttisch zur Seite und lächelte. Es war ein Lächeln voller Bosheit.
    »Komm herein, Junge«, sagte Häller.
    Mathias trat vor. Hinter ihm lehnte der bullige Mann mit dem Rücken an der Tür, drehte sich aber fast im selben Augenblick flink wie eine Katze wieder herum und legte den Kopf schief, als hätte er draußen

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