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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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etwas gehört. Vorsichtig horchte er an der Tür. Was er gehört hatte, war Katta, die in eben diesem Augenblick auf der anderen Seite lauschte. Sie hatte kaum ein Geräusch gemach t – ich muss zugeben, sie war eine Meisterin im Spionieren. Menschen, die in Gasthäusern arbeiten, sind das sehr oft. Doch lautlos hin oder her, der kleine Mann hatte sie gehört. Langsam schob er die Hand in Richtung Türklinke, doch da rief eine Stimme von unten herauf, ein Mal, zwei Mal, es folgten schnelle Schritte im Korridor. Sie hielten kurz inne, entfernten sich dann jedoch wieder. Danach war es still.
    Häller hatte alles mitbekommen. »Ist unser kleiner Lauscher weg?«, fragte er leise.
    Der kleine Mann nickte und lehnte sich wieder mit dem Rücken an die Tür.
    Mathias gefiel gar nicht, dass er da stan d – der Mann war ein Hindernis für jeden, der eintreten wollte, und für ihn selbst, wenn er hinauswollte. Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn. Dasselbe Gefühl wie in der Nacht zuvor, als er gemerkt hatte, dass ihm jemand in der Dunkelheit gefolgt war.
    »Ist das alles, was dein Großvater besessen hat?«, fragte Häller. »Komm her.« Er winkte ihn heran. »Schau dir alles ganz genau an.«
    Mathias trat zögernd näher; er war sich nicht sicher, was von ihm erwartet wurde.
    Es war alles da. Die hohlen Kugeln, die Gustav zum Glühen und Schweben gebracht hatte, bevor er sie über die Köpfe der Menge fliegen ließ. Alle seine Tricks und Illusionen. Seine Kleider. Alles sah leblos und leer aus ohne ihn. Jeder einzelne Gegenstand auf dem Tisch war auseinandergenommen worden.
    »Es fehlt nichts?«, fragte Häller.
    »Nein«, antwortete Mathias.
    »Bist du sicher? Schau es dir noch einmal an.«
    Mathias schüttelte den Kopf. »Das ist alles«, sagte er.
    Häller schabte die letzten Seifenreste von seinem Gesicht. Mathias hörte, wie die Schneide des Rasiermessers über die harten Bartstoppeln strich. Dann tupfte Häller die Haut mit einem Handtuch trocken. Mathias hatte die Hände in die Taschen gesteckt und wartete, die Faust um das eng zusammengerollte Stück Papier geschlossen. Er zweifelte nicht daran: Das war es, wonach Häller suchte. Er war sich auch ganz sicher, dass Häller es merken würde, wenn seine Miene dieses Wissen verriet. Er versuchte angestrengt, an gar nichts zu denken.
    »Hat dein Großvater dir je etwas gegeben, was du für ihn aufbewahren solltest?«, fragte Häller. »Oder hat er dir etwas ganz Besonderes oder Geheimes anvertraut, was du nicht vergessen durftest?«
    »Nein«, antwortete Mathias.
    »Kein kleines Andenken oder einen Brief?«
    Mathias schüttelte stumm den Kopf.
    »Vielleicht sollten wir das jetzt einfach überprüfen«, meinte Häller.
    Er griff neben sich, hob ein kleines, zerschrammtes Kästchen vom Boden auf, das mit grünem Leder bezogen war, und stellte es auf den Tisch. Es hatte etwa die Größe einer Schuhschachtel und war vielleicht dreißig Zentimeter hoch. Er holte einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete es. Das Vorderteil schwang wie zwei Türflügel nach außen. Drinnen lag, umgeben vom dunkelblauen Samt des Futters, eine Puppe. Sie trug ein kostbares höfisches Gewand, in das winzige Blumen und Vögel eingewebt waren.
    »Das ist Marguerite«, sagte Häller und hob die Puppe vorsichtig heraus.
    Mathias beugte sich unwillkürlich vor. Die Puppe war wunderschön, wie eine winzige lebendige Person, nur dass ihre Augen geschlossen waren, als schliefe sie. Ein solches Spielzeug hatte er noch nie gesehen.
    »Marguerite begleitet mich auf allen meinen Reisen«, sagte Häller. »Sie leistet mir gute Dienste, wenn Leute versuchen mich anzulügen. Sie besitzt nämlich eine bemerkenswerte Fähigkeit.« Er blickte Mathias mit seinen harten, dunklen Augen eindringlich an. »Sie kennt den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit. Es ist ganz merkwürdig, aber sie irrt sich nie. Ich werde es dir zeigen.«
    Häller holte zwei kleine Spielkarten aus dem Kästchen, eine blaue und eine rote. Er legte sie vor der Puppe auf den Tisch und klopfte dann mit dem Fingernagel vor ihr auf die Tischplatte. Einen Augenblick lang tat sich nichts, dann schüttelte sie zu Mathias’ großer Verwunderung anmutig den Kopf, als sei sie gerade tief in Gedanken versunken gewesen, und blickte zu Häller auf.
    »Marguerite«, sagte er und die kleine Puppe machte einen Knicks, die Hände vor dem Schoß gefaltet.
    »Dieser Junge heißt Ludovic.« Er zeigte auf Mathias und die Puppe drehte den Kopf und sah ihn

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