Finsterherz
den Zähnen drückte er beide Daumen auf Mathias’ Augen.
»Wo ist es?«
In Kattas Kopf pochte es. Sie sah den Zwerg auf Mathias sitzen. Sie blickte sich nach etwas um, womit sie ihn niederschlagen konnte. Es gab nichts außer der Öllampe. Der Zwerg hatte sie neben sich auf den Boden gestellt. Unsicher stand sie auf, hob die Lampe hoch und holte aus. Sie traf Walter mit einem dumpfen Krachen am Hinterkopf. Das Glas der Lampe zerbrach und er stand sofort in Flammen. Sein Haar war voller Lampenöl; es sickerte in seinen Mantel. Er sprang auf, versuchte wie wild mit den Händen die Flammen durch Schlagen zu ersticken, doch er glich einer brennenden Fackel. Schreiend torkelte er gegen die Wände. Die hölzernen Streben, die die Decke stützten, brachen unter seinem Gewicht zusammen und knickten ein. Erde kam von oben herunter, zunächst nur wenig, dann eimerweise. Katta wusste, was gleich passieren würde: Die Decke würde einstürzen. Sie packte Mathias und zerrte ihn weg. Die Flammen, die aus den Kleidern des Zwergs schlugen, erleuchteten den ganzen Tunnel.
Walter schrie immer noch, als die Decke einbrach.
Der Fremde auf dem Pferd
Katta sah die Decke einbrechen. Unendlich langsam, wie ihr schien, obwohl das nicht sein konnte. Erde strömte auf den brennenden Zwerg herab und bedeckte ihn wie mit Stoffbahnen. Dann kam alles auf einmal herunter; Tonnen von Erde begruben ihn und erstickten die Flammen. Im selben Augenblick wurde es wieder dunkel: eben noch der Lärm von herabpolternden Brocken und splitterndem Holz und jetzt Grabesstille. An der Stelle, an welcher der Zwerg gestanden hatte, war die gesamte Decke heruntergekommen. Katta verharrte vollkommen reglos in der Dunkelheit, hielt den Atem an und wagte nicht, auch nur einen Muskel zu bewegen, aus Angst, die Decke könnte auch über ihr einbrechen. Sie hörte das Holz der Streben über ihrem Kopf knacken und ächzen. Ganz langsam bückte sie sich und schob die Hände unter Mathias’ Achseln. Der Junge regte sich nicht und gab keinen Ton von sich. Sie wusste nicht, ob er noch lebte. Sie wimmerte vor Angst, weil sie sich so langsam bewegen musst e – so unendlich langsa m – und schleifte ihn rückwärts fort. Dabei dachte sie die ganze Zeit daran, dass sie nur eine Wand zu streifen brauchte, um alles zum Einsturz zu bringen; dann würden auch sie und der Junge begraben sein.
Aber sie schaffte es. Hinter einer Biegung erwartete sie mattes, graues Licht, das nicht von einer Lampe kommen konnte. Sie blickte über die Schulter und sah ein Rechteck aus Tageslicht. Nun war ihre Angst nicht mehr ganz so groß, aber sie wagte es dennoch nicht, schneller zu gehen. Sie konzentrierte sich auf Mathias’ Gesicht. Es war aschfahl, doch bei etwas mehr Helligkeit stellte sie fest, dass er noch lebte. Sie fragte sich, was um alles in der Welt er getan haben konnte, um all dies zu erleiden. Was hatte der Zwerg von ihm gewollt?
Äste waren vor dem Tunnelausgang aufgeschichtet worden, um ihn zu verbergen. Sie schob sie weg und zog Mathias dann durch das Laub auf dem Boden hinaus ins kalte Tageslicht. Sie richtete sich auf und atmete tief durch. Der Wald war eingehüllt in Frost und Stille. Sie kniete sich neben Mathias, voller Angst vor dem, was sie nun sehen würde. Ganz vorsichtig knöpfte sie seine Jacke auf. Die zwei Schlitze in seinem Hemd zeugten von den Messerstichen des Zwergs. Das Hemd war mit dunklem Blut getränkt. Sie riss eine Stück Stoff aus ihrem Rocksaum, um einen Verband machen zu können, doch da wurde ihr plötzlich etwas Hartes, Kaltes in den Nacken gedrückt. Sie hörte und spürte zur gleichen Zeit, wie der Hahn einer Pistole gespannt wurde.
Sie ließ die Schultern sinken. Sie mussten die ganze Zeit hier gewartet haben. Es war so ungerecht. Tränen traten ihr in die Augen.
Sie wurde auf die Füße gezogen und umgedreht, aber es war nicht Häller und auch niemand aus dem Gasthaus. Vier Männer standen vor ihr. Ein fünfte r – ein Hün e – saß auf einem braunen Pferd. Sein Mantel und die Stiefel waren dreckbespritzt, so als hätte er einen langen Ritt hinter sich. Den Mantelkragen hatte er wegen der Kälte hochgeschlagen, aber man sah trotzdem noch den Schal aus feinster spanischer Spitze, den er um den Hals trug.
»Was haben wir denn da?«, fragte er.
Katta hielt noch den Stoffstreifen in der Hand, den sie von ihrem Rock abgerissen hatte. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die nassen Augen.
»Bitte«, sagte sie. »Er ist verletzt.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher