Finsterherz
kam jedoch noch etwas anderes dazu. Walter wusste es, Häller aber nicht. Als Walter durch die Luke gesprungen war, hatte er tief eingeatmet. Ja. Er hatte Recht gehabt: Der Junge war hie r – er konnte ihn riechen. Aber er roch auch noch etwas anderes und im ersten Moment war er irritiert. Er roch Marzipan und Küchendüfte, gefegte Böden und harte Arbeit. Es war ein Geruch, den er nicht sofort zuordnen konnte, der ihm aber irgendwie bekannt vorkam. Dann fiel es ihm ein. Es war der Geruch des Dienstmädchens, das an der Tür gelauscht hatte. Einen Augenblick lang zögerte er. Sollte er es Häller sagen? Doch eigentlich brauchte es Häller nicht zu wissen, und der Spaß war umso größer, wenn er mit zwei Menschen statt mit einem spielen konnte.
Er hielt die Lampe vor sich in die Höhe, zog ein langes, scharfes Messer unter seinem Mantel hervor und folgte langsam dem Tunnel.
Katta blickte sich verzweifelt um. Mathias verstand überhaupt nicht, was geschah. Er war in der Dunkelheit hinter ihr hergestolpert; jetzt stand er da und wankte, als könnte er jeden Moment umfallen. Sie konnte rennen, er jedoch nicht. Das Licht wurde heller. Sie konnte jetzt die Schemen in der Dunkelheit identifizieren: Es waren Fässer, Kisten und in Öltuch eingewickelte Gegenstände, alle verschnürt und mit Tragriemen versehen, damit sie den Packponys aufgeladen werden konnten. Alles war an der Wand aufgestapelt. Katta musste sich entscheide n – sie hatte keine Zeit zu verlieren. Jeden Augenblick würde die Lampe die Tunnelbiegung erreichen und der Verfolger würde sie beide entdecken. Sie mussten entweder loslaufen oder sich verstecken.
Es gab eigentlich keine Wahl.
Sie mussten sich verstecken.
Walter kam um die Kurve. Im Lampenschein sah er die aufgestapelten Kisten, die Fässer und das Öltuch, und er wusste sofort, dass seine Opfer da waren. Er blieb stehen. Sehen konnte er sie nicht, aber das war auch nicht nötig. Er erschnüffelte sie zwischen dem Duft von Brandy und Holzfässern. Es war der Geruch nach Junge und nach Mädchen, ganz in der Nähe. Er neigte den Kopf ein wenig und lauschte. Er hörte sogar ihren rasenden Herzschlag. Nein, noch nie war es jemandem gelungen, sich vor Walter zu verstecken.
Durch einen winzigen Spalt zwischen den aufgestapelten Fässern beobachtete Katta den Zwerg. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hielt die Lampe hoch, als er zwischen den Kisten auf der anderen Seite des Tunnels suchte. Sie duckte sich nur einen Moment, bevor er sich umdrehte, und das Licht strich vorbei an der Stelle, an der sie kauerten. Sie hörte, wie er Gegenstände verschob, und hielt den Atem an. Aber er entdeckte sie nicht. Sie hörte das Geräusch, das seine weichen Kutscherstiefel machten, als er vorbeiging. Das Licht wurde immer schwächer, je weiter er sich entfernte. Dann war es wieder dunkel um sie herum. Sie stieß die angehaltene Luft in einem leisen, erleichterten Seufzer aus. Doch jetzt war der Zwerg zwischen ihnen und dem Ausgang. Vielleicht geht er bis zum Ende des Tunnels, dachte sie, und macht sich dann oben auf den Rückweg durch den Wald. Für den Augenblick jedenfalls waren sie und der Junge außer Gefahr. Sie mussten einfach nur noch ein wenig ausharren. Sie lehnte sich zurück. Genau in diesem Moment schoss Walters Hand aus der Dunkelheit und packte sie am Haar. Sie schrie.
Der Zwerg war lautlos im Dunkeln zurückgeschlichen, Lampe und Messer unter seinem dicken Mantel verborgen. Jetzt, da er Katta an ihren langen Haaren gepackt hatte, holte er die Lampe wieder hervor, damit er ihr Gesicht sehen konnte, als er sie zwischen den Fässern hervorzerrte. Der Junge lag auf dem Boden hinter ihr. Selbst als sie geschrien hatte, hatte er sich nicht bewegt, doch er blickte zu Walter hoch, die Augen aufgerissen in panischem Entsetzen.
Das würde ein gutes Spiel werden.
Walter schleuderte Katta we g – zuerst wollte er sich mit dem Jungen befassen; mit ihr konnte er später noch spielen. Sie fiel mit solcher Wucht gegen die schweren Kisten, dass es ihr den Atem nahm. Der Kistenstapel kam ins Wanken und begrub sie unter sich. Der Zwerg zog das Messer aus seinem Mantel, beugte sich vor und durchstieß mit einer einzigen schnellen Bewegung Mathias’ Schulter.
»Wo ist es?«, fragte er den Jungen. Nochmals stach er mit dem Messer zu.
Mathias konnte nirgendwohin ausweichen. Der Zwerg zerrte ihn über die Fässer nach vorn, warf ihn unsanft auf den Boden und setzte sich rittlings auf ihn. Das Messer zwischen
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