Finsterherz
das Ende hier entdeckt. Das hast du doch eben gesagt. Der Tunnel sei schon eingebrochen gewesen.«
Sie öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. Der Mann wandte sich zu den anderen um.
»Holt den Jungen und hebt ihn auf mein Pferd.«
Er stieg wieder auf das große Pferd. Seine Leute hoben Mathias zu ihm hinauf und setzten ihn vorne in den Sattel.
»Du läufst«, sagte er zu Katta. »Wenn du versuchst abzuhauen, bring ich den Jungen um. Hast du mich verstanden?«
Sie sah ihn an und nickte.
»Deckt das Loch ab«, sagte er zu den anderen. »Wir können den Tunnel jetzt nicht neu ausheben.«
Die Männer legten die Zweige, die Katta entfernt hatte, wieder über den Eingang und fegten Blätter über die Stelle davor. Niemand hätte jetzt hier einen Tunnel vermutet. Dann folgten sie dem Mann auf dem großen Pferd und führten die Ponys über den Waldpfad zurück zur Straße. Nur wenige Worte wurden gewechselt, dann trennten sie sich. Die Männer mit den Ponys gingen in eine Richtung, der hochgewachsene Mann mit dem schwankenden Mathias vor sich im Sattel in die ander e – zurück in den Wald.
Unter den Tonnen eingebrochener Erde begann sich etwas zu regen. Zuerst konnte er nur die Fingerspitzen rühren; er bewegte sie hin und her, bis ein kleiner Hohlraum entstand. Dann konnte er die ganze Hand bewegen. Walter begann sich aus der Dunkelheit seines Grabes herauszubuddeln. Nichts konnte ihn aufhalten.
Nur ein Gedanke erfüllte sein grausames, kaltes Herz, während er sich durch die Erde grub: Er musste den Jungen und das Mädchen finden, die ihn in Brand gesteckt und begraben hatten und nun dachten, er wäre tot. Er musste sie finden und dan n – was für ein lustiges Spiel sie dann miteinander spielen würden!
Er brauchte etliche Stunden. Es war lange nach Mitternacht, als er sich an die Erdoberfläche gegraben hatte und die letzten Dreckkrümel ausspuckte. Er stand zwischen den Bäumen im Wald, die kalt glitzernden Sterne über sich, und stieß einen langen, mordlüsternen Schrei aus. Dann begann er nach dem Tunneleingang zu forschen; seine Augen waren schärfer als die jeder Katze. Die Suche würde ihre Zeit brauchen, aber er überstürzte nichts. Kurz vor Sonnenaufgang fand er den Eingang am Fuß einer grasbewachsenen Böschung, hinter Zweigen verborgen. Er kniete sich hin und atmete durch die Nase ein. Er konnte Mathias’ Blut im Laub riechen, Kattas Geruch wehte von jener Stelle herüber, wo sie zuvor neben ihm gekniet hatte. Es gab noch andere Gerüche: von Männer n – fünf konnte er unterscheide n – und Pferden, vielen Pferden. Er lauschte, bis er ganz sicher war, dass sie nicht mehr in der Nähe waren. Nachdem er sich zu seiner Zufriedenheit vergewissert hatte, dass nichts zu hören war, folgte er einer der Spure n – dem Geruch des Mädchens, das neben einem Pferd herlief. Er führte ihn Schritt für Schritt den geheimen Pfad durch den Wald zurück zur Straße. Er lächelte in der Dunkelheit vor sich hin. Das war der beste Einstieg in ein Spie l – wenn sich die anderen bereits in Sicherheit wiegten.
Die Köhler
Katta lief neben dem Pferd her. Der Laubteppich auf dem Boden war mit Raureif bedeckt. Sie hatte keine Jacke. Deshalb schlang sie die Arme um ihren Oberkörper, damit sie warm blieb, doch die Kälte ging durch und durch. Ihre Füße waren eiskalt. Sie wusste nicht, wohin man sie brachte, aber es war nicht schwer, sich auszumalen, wie alles enden würde, wenn keiner mehr da war, der sie schreien hörte oder sah, was geschah. So würde es enden.
Doch das Pferd lief weiter und mit jedem Schritt kamen Katta mehr Zweifel an ihrem ursprünglichen Verdacht. Sie waren an genügend Senken und Hohlwegen vorbeigekomme n – verlassenen Orten, an denen man leicht ein Verbrechen hätte begehen können. Jedes Mal wappnete sie sich für den Moment, in dem der hochgewachsene Mann anhalten und absteigen würde. Doch er war an all diesen Stellen vorbeigeritten. Der Morgen war längst vorbei und sie hatten noch nicht ein einziges Mal angehalten. Dafür musste es doch eine Erklärung geben.
Als sie glaubte, diese gefunden zu haben, blieb sie stehen. »Ich gehe nicht weiter«, sagte sie.
Aber das Pferd hielt nicht an.
»Ich gehe nicht weiter!«, rief sie.
Der Mann zügelte das Pferd und drehte sich zu ihr um, doch sie blieb standhaft.
»Du wirst ihn nicht umbringen, stimmt’s? Weil du wissen willst, was sie von ihm wollten. Er könnte was wert sein. Hab ich Recht?«
Er ritt zu ihr zurück.
Weitere Kostenlose Bücher