Finsterherz
Während er Mathias mit einer Hand weiter festhielt, zog er mit der anderen eine Pistole aus einer Lederschlaufe am Sattel, spannte den Hahn und richtete sie auf Kattas Kopf. »Vielleicht sollte ich einfach dich erschießen«, sagte er.
Sie begann zu zittern und dieses Mal war es nicht vor Kälte. Aber sie war auch in diesem Punkt zu einem Schluss gekommen. Sie konnte nur hoffen, dass es der richtige war, denn sonst war alles zu spät.
»Du wirst auch das nicht tun. Stimmt’s?«
»Ach nein?«
»Nein«, sagte sie, »weil du’s schon längst getan hättest, wenn du’s gewollt hättest.«
Er schien einigermaßen belustigt. »Aber du hast bisher auch keinen Ärger gemacht«, sagte er.
»Dann bringst du es am besten gleich hinter dich«, erwiderte sie, »weil ich nämlich noch richtig Ärger machen kann.«
Sie stand stocksteif da und wartete, dass er abdrückte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie sah den dunklen, unbeweglichen Kreis des Pistolenlaufs vor ihrem Gesicht, die Bäume und den blauen Himmel dahinter. Sie fragte sich, ob es das Letzte war, was sie sehen würde.
Aber er drückte nicht ab. Er entsicherte die Pistole und steckte sie wieder in das Halfter. Dann beugte er sich herunter, fasste sie am Arm, zog sie hoch und setzte sie hinter sich aufs Pferd.
»Sieh aber zu, dass du vorerst nicht allzu viel Ärger machst«, warnte er. Er schnalzte mit der Zunge. »Weiter geht’s, Razor«, sagte er, und das Pferd schüttelte seine Mähne und setzte sich in Bewegung.
Der Mann trieb das Pferd an, als wollte er verlorene Zeit einholen. An einer Stelle mussten sie einen Fluss überqueren, aber das große Tier zögerte nicht. Es lief die Böschung hinunter und durch das dünne Eis am Rand und überquerte den eiskalten Fluss halb schwimmend, halb im Schritt, wobei es kurzatmig schnaubte. Die Kälte des tosenden Wassers stach Katta in die Beine. Schließlich erklomm das Pferd mit weit ausholenden Schritten das gegenüberliegende Ufer. Katta musste sich am Mantel des Mannes festhalten, als sie wieder in den Wald trabten. Die Kälte hatte sie schon fast vergessen.
Sie hatte im Gasthaus schon viele Pferde gesehen, sogar schon auf einigen gesessen, doch nie auf einem so herrlichen wie diesem. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es jeden niedertrampelte, der dumm genug war, sich ihm in den Weg zu stellen. Es war riesig, ein einziger Block aus Muskeln und Knochen, und es lief einfach immer weiter.
Sie waren mindestens eine weitere Stunde geritten, als Katta Holzrauch in der kalten Luft roch. Zuerst nur schwach, dann intensiver. Der Mann ließ das Pferd wieder in den Schritt fallen. Auf der Lichtung vor ihnen brannte etwas. Sie sah dichten, bläulich weißen Rauch wie Nebel zwischen den Bäumen wabern. Der Mann beugte sich vor und klopfte dem Pferd den Hals. Es schüttelte den Kopf. Was immer ihr Ziel war, sie hatten es offenbar erreicht.
Das Pferd ging noch ein Stück weiter und Katta blickte sich um. Stapel von zersägten Baumstämmen lagen auf dem Bode n – gespalten und aufgeschichtet. An verschiedenen Stellen trat aus mehr als mannshohen Hügeln, die mit Grassoden bedeckt waren, Rauch aus, der die ganze Lichtung füllte. Männer waren bei der Arbeit, ihre Gesichter geschwärzt von verkohltem Holz und Asche. Mit Eisenspaten klopften sie die Grassoden auf den Hügeln fest. Um weitere Holzstapel herum häuften sie neue auf. Katta sah kleine, farngedeckte Hütten, aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg. Wo sie auch hinblickte, überall war Rauch, der in ihren Augen brannte. Aber sie wusste sofort, was das hier war: ein Köhlerlager.
Köhler fällten Holz und ließen es in den Meilern so lange schwelen, bis nur noch Holzkohlebrocken übrig waren. Sie blieben immer nur so lange an einem Ort, bis sie so viel Holzkohle zusammenhatten, wie sie brauchten. Dann zogen sie weiter und verkauften die Kohle sackweise in Städten und Dörfern. Sie hatten eine eigene Sprache und eigene Sitten. Sie wollten nichts mit anderen Leuten zu tun haben und diese nichts mit ihnen. Wenn Köhler und Bürgersleute einander zu nahe kamen, gab es gewöhnlich eine Menge Ärger.
Etliche Gesichter wandten sich ihnen zu. Einer der Männer legte seinen Spaten beiseite und kam langsam über die Lichtung spaziert. Gesicht und Kleidung waren kohleverschmiert, die Augen blutunterlaufen. Doch er lächelte und die Zähne leuchteten weiß aus seinem schwarzen Gesicht. In beiden Ohren trug er einen goldenen Ring.
»König!«
Das klang wie eine
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