Finsternis über Gan (German Edition)
aufgeregt, wie immer, wenn es um die Großeltern ging. »Finn soll endlich in der Wirklichkeit leben und nicht in einer Traumwelt.. Opa setzt ihm nur wieder neue Flöhe ins Ohr.«
»Papa, ich bin jetzt dreizehn Jahre alt. Bitte.«
»Davon merke ich aber nicht viel. Du hast immer noch Kontakt zu diesen Kindern aus Japan und wo sie sonst alle herkommen. Denkst du, ich merke das nicht, nur weil eure Kommunikation über das Internet läuft?«
Dazu konnte Finn nichts sagen. Er hatte gehofft, vor seinem Vater verheimlichen zu können, mit wem er da chattete und E-Mails schrieb.
»Nein, das ist mein letztes Wort. Du fährst mit uns nach Frankreich. Deine Französischlehrerin wird es mir danken.«
Finn fühlte sich vollkommen hilflos. Flehend schaute er zuseiner Mutter, die reglos am Kaffeetisch saß und in ihre leere Tasse starrte. Warum sagte sie denn nichts? Warum schwieg sie immer in solchen Situationen? Wütend sprang er auf. Das Kaffeegeschirr klirrte gefährlich. Zornig funkelte er seinen Vater an und rannte aus dem Zimmer. Mit einem lauten Krach flog die Tür hinter ihm zu. Wütend rannte Finn die Treppe nach oben, lief in sein Zimmer und knallte noch einmal die Tür zu. Mit verschränkten Armen saß er auf seinem Bett und warf dann ein Kissen gegen die Wand.
Seine Gedanken überschlugen sich. Wie gemein sein Vater aber auch sein konnte! Immer wieder musste er dieses leidige Thema anschneiden. Wenn er die Briefe nicht in die Finger bekommen hätte, hätte er von der ganzen Sache nie Wind bekommen. Aber jetzt … sobald es um den Großvater und um Gan ging, war er nicht mehr Herr seiner selbst. Finn musste daran denken, wie ihn sein Vater sogar zu einem Psychiater gebracht hatte, nachdem er nicht hatte zugeben wollen, dass das alles nur eine ausgedachte Idee wäre. Der Arzt aber hielt Finn für einen ganz normalen Jungen, der, wie viele andere Zwölfjährige, manchmal in Fantasiewelten lebe. Das sei schon in Ordnung. Danach beruhigte sich die Stimmung etwas. Sobald das Gespräch aber auf den Großvater kam, ging es von vorne los. Diesmal hatte er nur zu fragen gewagt, ob sie nicht mal wieder in den Ferien hinfahren könnten. Immerhin war ein ganzes Jahr vergangen. Aber die bloße Frage reichte, um den Vater erneut ausrasten zu lassen. Seine Mutter, die das Verhalten ihres Mannes ziemlich verschroben fand und nicht so recht verstand, versuchte zwischen den Streithähnen zu vermitteln, aber wenn es um Finns Erlebnisse in Gan ging, nützten selbst ihre besten Verhandlungskünste nichts.
Enttäuscht schaute Finn auf ein Bild neben seinem Bett, das Chika für ihn gemalt hatte. Es stellte einen silbernen Pelikan dar. Wenn er daran dachte, dass dieser Vogel aus uralter Zeit, den nie ein Mensch zuvor gesehen hatte, sein eigenes Blut vergossen hatte, damit Pendo wieder lebendig werden konnte, dann tröstete ihn das. Der Pelikan Äbrah hatte sie vor einem Jahr wirklich inallerletzter Minute gerettet. Ohne Äbrah wäre Gan nicht mehr; ohne ihn wäre vermutlich die ganze Welt nicht mehr. Finn musste lächeln. Das Bild mit dem Pelikan war einer der vielen Gegenstände in seinem Zimmer, die ihn an Gan erinnerten, deren Bedeutung sein Vater aber nicht verstand. Finn hatte ihm nur das Nötigste erzählt und sich seit der überstürzten Abreise von Husum gänzlich ausgeschwiegen. Je weniger der Vater wusste, desto besser.
Finn stand auf, stellte den CD-Player an und machte es sich auf einem Sitzkissen gemütlich. Er hatte ein wunderschönes Altbauzimmer für sich ganz alleine. Mit hoher Decke und großen Fenstern. Sein Vater versuchte wirklich alles, um ihn von Gan und dem Großvater abzulenken. Jeden Wunsch erfüllte er ihm. Da standen eine super Spielkonsole, ein funkelnagelneuer PC, eine E-Gitarre, eine klasse Musikanlage und vieles mehr. Das war toll. Aber wie viel lieber würde er jetzt bei den Großeltern sein, mit ihnen reden und spielen und abends in seine gemütliche Dachmansarde gehen, der Ort, an dem alles begonnen hatte.
Das geheimnisvolle Amulett, mit dessen Hilfe er damals nach Gan gekommen war, trug er immer bei sich. Natürlich gut versteckt, damit sein Vater es nicht bemerkte. Aber es war nichts Ungewöhnliches mehr daran, ein Stein wie jeder andere. Er leuchtete nicht mehr und strahlte auch keine Wärme aus. Vielleicht würde ja wieder etwas passieren, wenn er im Haus der Großeltern wäre. Aber darauf bestand wohl keine Aussicht. Die Amulette von Chika, Pendo und Joe regten sich ja auch nicht. Finn war
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