Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers
Schnabelschuh die Körner hin und her. Das Glöckchen an der Schuhspitze klingelte leise.
»Aber …«
»Kein ›Aber‹. Es ist so.«
Arbutus wand sich verlegen und starrte an die Decke. Firkin trat aufgeregt und zappelig auf der Stelle.
Schließlich blickte der Zauberer auf und sah Firkin mitfühlend an.
»Na, junger Mann? Es läuft wohl nicht so, wie es laufen soll, was?«
Firkin schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Nein. Ich mache mir Sorgen.«
»Aha.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«
»Soso.« Merlot kaute an seinem Bart.
Firkin zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht mehr weiter. Ich habe Hogshead soviel zugemutet, und jetzt sind wir hier, im Schloß, und… tja…« Er schwieg einen Moment. Dann sah er Merlot an – er war wütend, enttäuscht und verletzt.
»Es ist wegen Pezzi. Ich bin wirklich sauer auf ihn! Er hat uns hängenlassen! Erst verspricht er, daß er uns hilft, und dann haut er einfach ab. Das ist nicht fair! Ohne ihn sind wir … Er ist ein Schuft!«
»Na, na, na! Nicht so voreilig, junger Mann!« Merlots Stimme war warm und tröstlich, heimelig wie ein gemütliches Sofa.
»Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll«, fing Firkin wieder an. »Jetzt sind wir so weit gekommen, und jetzt weiß ich nicht, wo der König ist!«
»Ohoo! Das ist das Problem?« rief Merlot aus. »Junger Mann! Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?« Er lächelte weise. »Wo …«, fuhr er dann fort, »… wo pflegen Könige zu wohnen?«
Firkin blickte den Zauberer scharf an.
»In Schlössern«, antwortete er bissig.
»Und wo sind wir jetzt?«
»Ich weiß schon!« Firkin stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. »Ich weiß aber nicht, wo ich suchen soll. Wir sind schließlich zum ersten Mal hier. Ich weiß nicht, wo man … in einem …« Er verlor den Faden, weil ihm aufgefallen war, daß Merlot in eine ganz bestimmte Richtung blickte – dorthin, wo Hogshead und Courgette standen.
Er hatte das Mädchen schon die ganze Zeit über angesehen … Firkin faßte wieder Mut: Eine bessere Führerin konnten sie nicht finden.
Jungfern und Maiden in Bedrängnis – schon ihr Name weist daraufhin, daß sie nicht in den sicheren und behüteten Bezirken der Schloßgesellschaft leben. O nein! Der Komfort eines feudalen Appartements im Erdgeschoß, dessen Verandatüren den ganzjährigen Ausblick auf die gepflegten Anlagen des Schloßparks ermöglichen – ihnen ist er nicht vergönnt. Genausowenig das Vergnügen, teilnehmen zu dürfen an den Diners und Bällen der High-Society, zu denen der perückentragende, puderbestäubte Adel sich versammelt. In Freiheit zu leben – was für viele so selbstverständlich ist, ihnen bleibt es vorenthalten.
Das Prädikat ›in Bedrängnis‹ steht genaugenommen nur jenen Jungfern und Maiden zu, deren Leben in einem genau definierten Ausmaß von folgenden Faktoren bestimmt ist: Not, Qual und Spinnrad. Als ›Jungfer‹ respektive ›Maid in Bedrängnis‹ gilt ausschließlich jene ›Jungfer‹ respektive ›Maid‹, zu deren Füßen ein klappriges kleines Spinnrad steht.
Um aber den größtmöglichen Zustand der Bedrängnis zu erreichen, ist es unabdingbar, daß die betreffende Maid respektive Jungfer diese Bedrängnis an einem ganz bestimmten Ort erleidet. Wie jedermann weiß, erfährt der ›Bedrängnis-Koeffizent‹ der in verbrecherischer Absicht zugefügten diversen garstigen Qualen eine synergetische Verstärkung, wenn der Koeffizient ›Wohnsituation/Aufenthaltsort‹ dazutritt. In einer Bar am Strand von Hawaii an eine Wand gekettet zu sein, mag vielleicht ein wenig lästig erscheinen – der Vorstellung, die man üblicherweise mit dem Ausdruck ›Qualen leiden‹ verbindet, entspricht dies jedoch nicht unbedingt. Verlegt man nun diese Wand in ein dreckiges Kerkerloch, in dem es von Flöhen wimmelt, in dem möglicherweise ein Haufen stinkender Eingeweide vor sich hinfault, dann kommt man der Sache schon näher. Deswegen sind Jungfern und Maiden, sollen sie wirklich ›Jungfern‹ respektive ›Maiden in Bedrängnis‹ sein, stets in die Dachkammern zugiger hoher Türme eingekerkert oder hinabgestoßen in die tiefsten Tiefen der Erde, dorthin, wo schwarze Ratten hausen, wo ihnen allenfalls Kellerasseln und gelegentlich vielleicht ein Drache mit üblem Mundgeruch Gesellschaft leisten.
Genau diese Bilder sah Pezzi vor sich, als er mit gezogenem Schwert die Wendeltreppe im höchsten Turm von Schloß Isolon hinaufstürmte.
Ganz oben in der Dachkammer
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