Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers
Kleidungsstücken verarbeitet, richtig. Ich will meine Frage noch einmal stellen: Woher stammen die Pelze? Wo wachsen sie?«
»Fisk«, brüllte der König, »jedem von uns ist bekannt, daß sie auf dem Rücken von Lemmingen wachsen. Das hier ist keine Schulstunde in Biologie, und was das ganze mit Innenpolitik zu tun haben soll, leuchtet auch nicht unbedingt ein. Ich wäre Euch daher überaus dankbar, wenn Ihr uns ermöglichen könntet, den tieferen Sinn Eurer Ausführungen zu verstehen – was Euch bis jetzt nicht gelungen ist und weswegen ich allmählich meine Geduld verliere!«
»Bei allem gebotenem Respekt, Sire – aber es handelt sich tatsächlich um eine innenpolitische Angelegenheit.«
Es wurde totenstill. Fisk sah vier verdutzte Gesichter vor sich – er hatte sie am Haken.
»Ich will es genauer erklären. Diese Kleidungsstücke wurden aus den Fellen von Lemmingen hergestellt. Aus den Fellen von Tieren, die sich – warum, das wissen sie wohl am besten – in großer Zahl von Felswänden stürzen. Die von ihnen für diesen Zweck bevorzugte Felswand liegt knapp hinter der Grenze, in der Nähe eines kleinen Dorfes in Isolon. Dort werden alle Lemmingfelle verarbeitet. Und dort wird das Geld gescheffelt. Thatarr, habt Ihr in letzter Zeit einmal den Zustand unserer Ostgrenzen kontrolliert?«
»Nein. Dort gibt es nicht viel zu kontrollieren. Es handelt sich um eine natürliche Grenze – keine Armee könnte diese Felswände erklimmen!«
»Gympl«, fragte Fisk, »wie steht es mit unserem Abkommen, das den Export von Nutzvieh nach Isolon regelt?«
Gympl sah ihn verwirrt an. »Es gibt keines.«
»Frandl«, fragte Fisk, »muß der unerlaubte Export von Nutzvieh aus cranachischer Zucht nach Isolon nicht eigentlich als Viehdiebstahl bewertet werden – ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht?«
Thatarr bekam leuchtende Augen.
»Ja doch! Verstehe ich richtig: Die Lemminge, aus denen alle diese Kleider hier gemacht sind, diese Tiere, die soviel Geld einbringen – sie leben gar nicht auf isolonschem Hoheitsgebiet?«
»Sehr richtig, Erzkanzler. Sie leben im cranachischen Teil der Krapathen. Rechtmäßig sind also alle Lemmingsfelle, die in dieser Region wachsen und illegal aus Cranachan ausgeführt werden, unser Eigentum. Ergo gehört auch das Geld, das durch ihren Verkauf erlöst wird, uns. Meine Herren: Wir werden um unser Geld betrogen!« Seinen Ausführungen folgte ein mehrminütiges Schweigen, da jeder erst verarbeiten mußte, was man von Fisk erfahren hatte.
»Ein ernstes Problem«, bemerkte der König und rieb sich das Kinn. »Und wie sollten wir Eurer Meinung nach vorgehen?«
»Nun, Sire – ich habe da eine Idee …«
Es war ein milder Abend. Die Stadtbewohner eilten geschäftig durch die Straßen und drängten sich durch das Gewühl – genauso, wie Stadtbewohner auch anderswo geschäftig hin und her eilen und sich durch das Gewühl drängen. Sie waren nur etwas wachsamer. Es gab zwei Arten von Wachsamkeit, derer sich die Bewohner von Guldenburg befleißigten, wenn sie geschäftig hin und her eilten und sich durch das Gewühl drängten: einmal die Wachsamkeit derjenigen, die auf der Hut waren vor unerwünschten, diebischen Fingern, die ihnen erkleckliche Teile ihres Vermögens aus der Tasche ziehen wollten. Dann gab es die Wachsamkeit derjenigen, die Ausschau hielten nach jenen, die sich nicht vor unerwünschten, diebischen Fingern in acht nahmen, die ihnen erkleckliche Teile ihres Vermögens aus der Tasche ziehen wollten. Im letzteren Fall handelte es sich in der Regel um die Leute mit den unerwünschten, diebischen Fingern. Wobei die natürlich ihre Finger eher als Werkzeuge ansahen, mit denen eine flinke und gerechte Vermögensumverteilung erreicht werden konnte. Zu ihren Gunsten.
Hoch am Himmel stand der Vollmond und schien auf heruntergekommene Dächer, und Myriaden von Sternen hielten ungerührt Wacht – wenn auch nicht ganz so wachsam wie die Menschen tief unter ihnen. Man schrieb das Jahr 1024 MEZ, und der Herbst war nahe. Allerdings spielten für den Großteil der Einwohnerschaft von Guldenburg Fragen der jahreszeitlichen Abfolge keine große Rolle, für sie waren Nebensächlichkeiten wie ›Natur‹ oder der Wechsel von Frühling, Sommer, Herbst und Winter, von Tag und Nacht mehr oder weniger bedeutungslos. Wenn man nicht sieht, was das Wirken der Natur im Jahreslauf für Flora und Fauna bedeutet, was kümmert es dann, ob Frühling oder Winter ist? Das heißt nicht unbedingt,
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