Firkin 05 - Fahrenheit 666
reich oder arm, war ihm völlig schnuppe, auch Rang und Name interessierten ihn einen feuchten Kehricht. Für seine Auswahl galt nur ein Kriterium – Frische.
Allein dem Mut eines rangniedrigen Offiziers der Schwarzen Garde, der sich nach seinem eigenen groß angekündigten Begräbnis zwei Meter unter die Erde eingraben ließ, war es zu verdanken, daß der ›Exhumierer‹ auf frischer Tat ertappt und seinen makabren Machenschaften ein für allemal ein Ende gesetzt werden konnte. Glücklicherweise verhielt sich Ranzig damals wie erwartet, und der Offizier mußte nicht lange warten, bevor er aus dem Sarg springen und dem ›Exhumierer‹ die Handschellen fest um die schmutzigen Handgelenke legen konnte.
Seither war die Laufbahn von Hauptmann Barak kaum aufzuhalten gewesen, doch Ranzig war ihm mit seiner krankhaften Einstellung gegenüber dem Auffinden von Todesursachen immer noch nicht ganz geheuer. Es war diese Faszination, die Ranzig an den Rand des guten Geschmacks getrieben hatte; ständig war er bemüht herauszufinden, warum jemand, der allein durch die Tatsache, einige Stunden unter Wasser gehalten worden zu sein, zu atmen aufhörte und erstickte; mit großem Erstaunen entdeckte er, daß es schmerzte, wenn man im Kampf einen Finger verlor, und es einem auch nicht besonders gutging, wenn man bei einem ähnlichen Anlaß eine Niere verlor, wenn einem aber nur ein winziges rotes Stück dieser komischen Rohrleitungen aus dem Brustkasten gerissen wurde, dann bedeutete das mit Sicherheit das Ende.
Für diese Untersuchungen benötigte er so viele ›Freiwillige‹ wie möglich – na, und da sich sowieso niemand mehr für sie interessierte, was sollte daran so verwerflich sein? Und außerdem hatte er sie immer schön gewaschen und ordentlich zusammengeflickt wieder zurückgebracht. Die Geschworenen hatten ihn jedenfalls ungeschoren davonkommen lassen, und der Richter hatte ihm sogar erlaubt, seine Arbeit fortzuführen, allerdings nur an Verbrechern.
Hauptmann Barak erschauerte, als er jetzt mit der Faust an die Tür klopfte, an der ein Schild mit der Aufschrift ›Thor Ranzig – Forschungslabor‹ angebracht war, dann trat er ein und sah sich um.
In den ringsum an den Wänden befindlichen Regalen standen Flaschen und andere Glasbehälter, in denen bleiche, konservierte Eingeweide oder die ein oder andere Gliedmaße aufbewahrt wurden. In der hintersten Ecke, nur undeutlich im Lichtschein der Talglampen zu erkennen, stand ein ramponiert aussehendes Skelett, das an einem in das Felsgestein geschlagenen Haken baumelte. Zwar hatte sich Barak in all den Jahren an den Anblick von Ranzigs Labor gewöhnt, doch gab es eine Sache, die ihn immer wieder umhaute und die direkt in sein Gehirn zu jenem Bereich vorstieß, der für die Übelkeit verantwortlich war. Und so drehte sich sein Magen auch dieses Mal um, und er mußte wie ein Dorsch nach Luft schnappen, als er die Leiche von Schlacke Schmidt ausgestreckt auf einer gewaltigen Steinplatte liegen sah, die als Totenbank diente. Drumherum war ein riesiger Kreidekreis gemalt, der am Rand mit Buchstaben und Symbolen verziert war, und jedes dieser Zeichen war vor einer kleinen Talglaterne auf den Boden gekritzelt worden. Es sah aus wie bei den letzten Vorbereitungen zu einem dämonischen Opferungsrituals – der Leichnam auf dem Altar, der Ring aus Kerzen und die in Flaschen aufbewahrten Eingeweide. Das einzige, was diesen Eindruck trübte, war das Kaninchen.
Zum einen das und natürlich auch die Karotten, die sorgfältig vor jeden der Kreidebuchstaben plaziert waren.
Thor Ranzig hielt einen Federkiel zum Schreiben bereit über ein Pergamentklemmbrett und beobachtete aufmerksam das Kaninchen mit den Schlappohren, das gerade mißtrauisch eine Mohrrübe beschnupperte.
Barak räusperte sich nervös, wobei er über Ranzigs geistige Stabilität nur staunen konnte und insgeheim überlegte, ob er nicht einfach wieder hinausgehen und diesen Verrückten lieber alleinlassen sollte. Schließlich wäre es nicht so furchtbar tragisch, wenn er erst in einigen Stunden zurückkäme … oder auch erst in einigen Tagen oder Wochen oder …
»Aaah, Barak, ich hab dich schon erwartet!« sprudelte es aus Ranzig hervor, und irgendwie ließ diese eher harmlos klingende Redewendung weit mehr befürchten, als man hätte erwarten dürfen.
Ranzig wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kaninchen zu, als dieses mit schnuppernder Nase zu einer anderen Mohrrübe hinüberhoppelte. Mit größter Vorsicht
Weitere Kostenlose Bücher