Firkin 1: Der Appendix des Zauberers
der Sorgfaltspflicht durch achtloses Herumwerfen tollwütiger Tiere, Verschandelung öffentlicher Straßen und Plätze mit Abfall und Müll) hingerichtet worden. König Erdrosselbart hatte eine Kampagne gegen Abfallsünder initiiert. Er war der festen Überzeugung, daß ordentliche Dörfer und saubere Städte reiche Touristen nach Cranachan bringen würden. Wodurch ihm die Mühe erspart bliebe, beschwerliche Reisen in fremde Königreiche unternehmen zu müssen, um an deren Geld zu kommen. Zu Hause war das viel einfacher zu bewerkstelligen. Bemerkenswerterweise schienen die reichen Touristen den Werbebroschüren tatsächlich zu glauben, die ihnen Cranachan als eines der sichersten Königreiche für einen Kurzurlaub vorstellten. Genießen Sie, hieß es dort, das bunte, abwechslungsreiche Unterhaltungsprogramm, das Ihnen die Einheimischen auf den nächtlichen Straßen bieten: atemberaubend das traditionsreiche Messerwerfen, unvergeßlich die hohe Kunst des Schwertkampfs und die meisterhafte Handhabung der Streitaxt. Wochenenden mit rätselhaften Mordfällen können jederzeit arrangiert werden – die Wahl des Mordopfers bleibt Ihnen überlassen! Die Zugriffsgewährung auf Ihre Barmittel und Ihren Schmuck ermöglicht Ihnen überall in Cranachan bequeme Zahlungsmöglichkeit. Besuchen Sie Cranachan – Sie werden es nie wieder verlassen wollen!
Mehrere kleinere Volkserhebungen waren im Keim erstickt und die Täter (einschließlich einer Anzahl unschuldiger Zuschauer) umgehend einkerkert oder hingerichtet worden. Wobei noch einmal erwähnt werden muß: Was man in Cranachan ›unschuldig‹ nannte, hätte vermutlich überall anders ›schuldig‹ geheißen.
In all diesem Trubel hatte Gympl eine außerordentliche Entdeckung gemacht.
Es sah ganz so aus, als sollte sich das Leben dramatisch ändern – für Cranachan, für Isolon und nicht zuletzt für den cranachischen Minister des Innern.
Fisk klopfte an die riesige Eichentür der Handelskammer und wartete auf Einlaß, aufmerksam beobachtet von den beiden Gardesoldaten, die mit der profihaften Lässigkeit von Männern, die für ihren Beruf geboren sind, ihre Äxte wiegten. Fisk war ein wenig wacklig auf den Beinen. Er hörte ein röhrendes Brüllen durch die Kammer hallen, schluckte nervös, stieß die Tür auf und trat ein. Laut hallten seine Schritte, als er, wachsam verfolgt von den Blicken der Ratsversammlung, über den spiegelblanken Marmorboden schritt. Schließlich blieb er stehen und verbeugte sich tief.
»Ergebenster Diener, mein Lehnsherr. Ihr habt mich rufen lassen?.«
»Schleimer«, brummte Gympl leise.
»Was ist das da?« brüllte der König und hielt ein gelbliches Kleidungsstück hoch. Fisk blickte sich ängstlich um. Die Antwort war eindeutig. Aber – war sie auch richtig? Er sagte sie trotzdem.
»Eine Hose, Königliche Erhabenheit.«
Der König zuckte. Fisk hatte ein äußerst ungutes Gefühl.
»Richtig«, gab der König mit zusammengebissenen Zähnen zurück. »Was das anbetrifft, hast du recht. Trotzdem – ich frage dich noch einmal: Was ist das?«
Fisk wand sich verlegen. Plötzlich schoß es ihm durch den Kopf: Er erinnerte sich an eine ähnliche Unterredung, die vor mehreren Monaten hier stattgefunden hatte. Doch irgend etwas sagte ihm, daß die Unterredung dieses Mal etwas anders verlaufen und etwas anders enden werde.
»Äh, meint Ihr vielleicht: ›Woraus ist sie gemacht‹?«
Der König nickte gebieterisch und fletschte die Zähne. Und plötzlich erblickte Fisk jenes Bild wieder vor sich, das er als Kind einmal gesehen hatte: einen riesigen Löwen, dessen speicheltriefender Rachen weit aufgerissen war, in dessen Augen es gierig funkelte, der es kaum mehr erwarten konnte, dem erbärmlich kleinen Säugetier, das er mit zwei riesigen Pranken am Boden festgenagelt hatte, den Kopf abzureißen. Und jetzt wußte Fisk plötzlich ganz genau, wie diesem Säuger zumute war.
»Ich denke, Königliche Besti… äh … Hoheit, daß dieses Kleidungsstück, das Ihr in Euren Händen haltet« – Fisk war in heller Aufregung –, »aus Pelz gefertigt ist, aus mehreren Pelzen, aus den Pelzen mehrerer L… L… Lemminge.«
»Sehr richtig.«
»Aber, Sire … Verzeiht meine offensichtliche Begriffsstutzigkeit … Aber war nicht ich es, der Euch ursprünglich, vor einigen Monaten etwa, dieses Kleidungsstück präsentierte? In sehr ähnlicher Weise präsentierte? Womit ich natürlich keinesfalls Euren Präsentationsstil kritisieren wollte! Ganz bestimmt
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