Firkin 3: Das Wurmloch ins Biblioversum
Hände, umklammerte ihn so fest sie konnte, pumpte sich die Lungen voll und schrie.
Der Reiter auf dem riesigen Pferd holte gewaltig aus und zielte mit dem Schläger auf den Ball. Das Roß schäumte und dampfte, seine Hufe rissen Erdklumpen aus dem Boden des Spielfelds, es brach aus und jagte auf den Ball zu.
Von links brüllte eine schwarzgekleidete Gestalt mit dröhnender Stimme über das Polofeld: »He, Pest! Hier! Hier rüber! Los, mach schon, zu mir rüberpassen!« Das Publikum tobte.
Der Krieg jagte über die 50-Meilen-Linie, er gab seinem Roß die Sporen, Fetzen der Grasnarbe wirbelten durch die Luft… Der Krieg hielt die Mannschaft der Tempelritter in Schach, und die Pest gab mit einem wunderschönen Paß an den Tod ab. Souverän, so wie man es von ihm kannte, nahm der schwarz Verhüllte an, grinste fleischlos und sprengte mit wehenden Mantelschößen auf das Tor zu.
Mit aufgeregtem Geschrei warnte die Pest den Hunger: Ein Tempelritter hatte die Deckung des Kriegs durchbrochen und hielt geradewegs auf den stürmenden Tod zu. Ein paar apokalyptische Augenblicke lang sah es so aus, als könnte der Templer den grausamen Sensenmann frontal angehen. Die Pest riß an den Zügeln, ritt mit einem scharfen Schwenk, der die Rasendecke aufspritzen ließ, nach links ab und stürzte sich auf den Ritter. Wie eine Welle lief es rund um das Oval des Stadions, die Menge fuchtelte wild mit den Armen.
In diesen letzten Minuten des letzten Spielabschnitts im Finale der offenen Polomeisterschaften der Kapiteldimensionen (die Apokalyptischen Vier lagen um ein Tor hinter den Tempelrittern zurück), in dieser Situation achtete niemand auf die schwarze Wolke, die über dem Hunger hing und zusehends größer wurde.
Der verzweifelte Ritter warf seinen Schild mit dem roten Kreuz weg, drückte sich flach an den schweißnassen Hals seines Pferdes und preschte haarscharf hinter der Pest vorbei.
Der Krieg brüllte und fluchte wie ein Fuhrknecht – womit er sich einen bösen Blick des Schiedsrichters einhandelte.
Der Tod trieb den Ball weiter, hielt ihn dicht an den donnernden Hufen seines Rosses und sprengte im rasenden Galopp auf das Tor zu. Das bis auf den letzten Platz ausverkaufte Stadion unterstützte ihn mit heiserem Gebrüll. Konnten die Apokalyptischen Vier noch den Sieg erringen?
Wirbelnd türmten sich schwarze Kumuluswolken über dem Hunger auf, der hinter dem Tod hergaloppierte.
Plötzlich brachen noch einmal zwei Templer durch. Sie schwangen ihre Schläger hoch über den Köpfen, sprengten in großem Bogen um den Krieg herum und preschten über das Spielfeld. Die Menge geriet aus dem Häuschen. Der Hunger riß an den Zügeln und galoppierte los, um sie abzufangen. Und genau in diesem Augenblick verdichtete sich die schwarze Wolkenbank, stieß auf das Spielfeld, geradewegs auf den Hunger herab, und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Und mit ihr der Hunger.
Der Tod schrie. Er brauchte Unterstützung, sonst stand er im Abseits, und das Tor wurde nicht anerkannt. Der Krieg raste mit Geschrei über das Feld, der Schiedsrichter leckte schon das Mundstück seines Pfeifchens und zählte die letzten Sekunden ab. Da schlug der Tod den Ball aus einer Entfernung von achtzig Metern auf das Tor und …: Daneben! Schlußpfiff! Die Menge tobte. Die Apokalyptischen Vier hatten verloren. Sie, die noch niemals verloren hatten!
Der Tod fuhr herum, sein Schädel schlug vor Wut Falten. »Wo, zum Teufel, war denn der Hunger! Ich hätte das Tor schießen können, wenn er da gewesen wäre! He, Hunger?«
Wo war der Hunger?
Es war ein erbärmliches Leben, das Courgette in den Katakomben des dicht bevölkerten Gefängnisblocks von Schloß Isolon führte. Nur das Wasser, das von der Decke tropfte, zeigte ihr, daß die Zeit verging. Wie die Kakerlaken über den Fußboden, so huschten ihr die Fragen durch den Kopf und machten scharrend auf sich aufmerksam. Ihr Gedächtnis zappelte und zerrte an den Würmern der Vergangenheit, die auf den grünen Wiesen der Geschichte im Boden steckten, und suchte verzweifelt nach einer Erklärung. Bei der Arbeit (es war ihre Arbeit – Courgette wußte das ganz bestimmt, auch wenn sie nicht zu sagen vermocht hätte, warum oder woher sie es wußte) waren Szenerien aus der Vergangenheit in ihrer Erinnerung aufgetaucht, flüchtig und verschwommen, wie Fische, die pfeilschnell im trüben Wasser davonschossen, das ohne Ende unter der Brücke lang vergangener Tage rauschte. Und jedesmal wieder schien
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