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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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in die richtige Richtung.
    Die stämmigen Baumriesen, die Reihe für Reihe das Kopfsteinpflaster des alten Marktplatzes wie Pflöcke zusammenhielten, ließen kaum einen Blick durch die Blätter zu. Doch kurz konnte ich in die kleine Straße in der Nähe des mächtigen Glockenturmes hineinschauen, und ich erschrak ein wenig, denn es brannte Licht in meiner alten Wohnung über dem Friseursalon. Vater war also zurück, eher als erwartet. Ich überlegte einen flüchtigen Moment, ob ich nicht ein Stück zurückfahren und ihm einen Besuch abstatten sollte, doch ich konnte mir nicht so recht vorstellen, wie er auf die neue Situation reagieren würde. Und ich hatte überhaupt keine Lust auf ein weiteres beleidigtes Männergesicht, das mir meine neue Freiheit nicht gönnte.
    Nach einem tiefen Atemzug spürte ich eine ruhige Freude darüber, dass ich aus der einfallenden Dunkelheit die Meeresluft und das grüne Gras des nassen Sommers herausriechen konnte. Es gab um diese Zeit noch frische Waffeln in der Teestube an der alten Mühle, ein paar Jungs in blauen Hemden spielten Akkordeon und Geige und deren Lachen begleitete mich noch, als ich das Ortsschild bereits passiert hatte.
    Außerhalb der Kleinstadt gab es keine abendlichen Gespräche fremder Menschen von der Straße, die zum Fenster hinaufwehten, kein Glockenspiel vom breiten, grob gemauerten Kirchturm um Mitternacht.
    Ich freute mich auf die neuen, fremden Geräusche, die mich bei Liekedeler begrüßen würden.
    Eigentlich geschah nichts wirklich Weltbewegendes an diesem Abend, als ich mit einem feierlichen Gefühl im Bauch den Weg hinauffuhr und das steinerne Seeräubergesicht mir guten Abend wünschte.
    Eher beiläufig wanderte mein Blick in die zweite Etage, ich fragte mich, ob in Sjard Diekens Wohnung noch Licht brannte und ob irgendein fremdes Auto darauf hinwies, dass er Besuch haben könnte.
    Seit einigen Tagen schon ertappte ich mich dabei, dass ich meinen Kollegen beobachtete. Ich wusste genau, wie er die Arme nach oben riss, wenn er beim Fußballspiel mit den Kindern ein Tor geschossen hatte. Ich kannte die kleine, beinahe unsichtbare Narbe neben dem linken Auge, die beim Lachen in einer geschwungenen Falte verschwand. Er mochte keine Salatgurken. Seine Stimme wurde tiefer, wenn er laut sprach. Wir sprachen nicht viel miteinander, doch er lächelte, wenn wir uns im Haus trafen. Und ich merkte mir jede Begegnung.
    Mit gerötetem, verschwitztem Gesicht stieg ich die Treppen hinauf, und Sjard stand in der Tür, als habe er auf mich gewartet.
    «Ich sollte auch öfter Rad fahren», sagte er statt einer Begrüßung. «Wenn man immer dabei so glücklich aussieht!»
    Mein Herz machte einen Salto und ich lächelte nur. Ich hätte kein Wort herausgebracht, das wusste ich. Und so nickte ich nur kurz, zwinkerte ihm schüchtern zu und ging die Stufen bis zu meiner Wohnungstür ein wenig langsamer. Er hatte Recht. Ich war so glücklich.

3.
    Redenius’ Augen waren so hell wie die eines erblindeten Tieres. Die dünnen, blonden Wimpern rahmten beinahe unsichtbar die schweren Lider. Der Blick, den er mir durch die Gläser seiner sicherlich genauso schlichten wie teuren Brille zuwarf, ließ mir das Gefühl, wieder einmal etwas sehr Dummes gesagt zu haben, zäh den Rücken hinunterlaufen.
    «Meinen Sie nicht, es ist etwas albern, sich in Ihrem Job in unsere pädagogische Arbeit einzumischen? Soweit ich mich erinnern kann, haben wir Sie lediglich als Pressesprecherin und Frau für die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt.»
    Ich konnte sehen, dass in seinem sehnigen Körper jeder Muskel angespannt war. Unwillkürlich duckte ich mich ein wenig.
    «Jochen, halte dich bitte etwas zurück.» Dr.   Schewe saß zwischen uns, sie hatte ihren Oberkörper leicht nach vorne gebeugt und fasste mit der einen Hand nach Redenius’ Schulter, die andere lag beruhigend und merkwürdig vertraut auf meinem Oberschenkel. Sie musste sich fühlen wie eine Mutter, die ihre zankenden Kinder auseinander hielt. Und irgendwie erwartete ich sogar, dass sie mit Jochen Redenius schimpfte und ihm sagte, dass ich im Recht war. Ich hatte doch nur berichtet, was Henk mir erzählt hatte. Die Geschichte von einem kleinen, eifersüchtigen Mädchen, das den Kopf des vermeintlichen Konkurrenten unter Drohungen aus einem Fenster im Dachgeschoss hielt.
    «Es ist nicht Frau Leverenz’ Aufgabe, sich in die Arbeit der Erziehungsfachleute einzumischen», rechtfertigte sich Redenius. «Ich halte es sogar für ziemlich

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