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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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riskant, wenn sie eine Beziehung zu den Kindern aufbaut, die nicht mit uns abgesprochen ist.»
    «Jochen hat nicht ganz Unrecht», sagte Sjard Dieken mit leiser, aber fester Stimme. Er rührte sich kaum in seinem schwarzen Stuhl, wirbelte lediglich einen Stift zwischen seinen schlanken Fingern und betrachtete konzentriert die verschiedenen Personen in unserer Runde: die ewig beherrschte Dr.   Veronika Schewe, begleitet von ihrer Protokoll führenden Assistentin Silvia Mühring, der aufgebrachte Jochen Redenius und in der hinteren Ecke der eher schweigsame Pädagoge Robert Lindkrug. Ja, und mich, mich betrachtete er am längsten, am intensivsten und ohne Zweifel auch mit einer nicht zu übersehenden Skepsis. Nicht unfreundlich, nicht abweisend, aber skeptisch.
    «Besonders wenn es um aggressives Verhalten der Kinder geht, müssen wir an einem durchdachten Konzept festhalten, sonst verlieren wir die Kontrolle. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.» Es war wie ein Tritt in meine Eingeweide. Ich wusste, dass Sjard Dieken nie ein Wort unüberlegt aussprach, deshalb traf mich seine Aussage umso härter.
    «Es kann doch nicht verboten sein, sich Gedanken um die Kinder zu machen. Schließlich habe ich den ganzen Tag mit ihnen zu tun», setzte ich mich zur Wehr. «Ich habe das Gefühl, dass bei Vorkommnissen wie diesem so etwas wie feindseliges Konkurrenzdenken zutage tritt. Und ich denke schon, dass ich solche Beobachtungen an Sie weitergeben sollte.»
    «Trotzdem sollten Sie bis hierher gehen und nicht weiter», sagte Redenius laut und schneidend wie ein Lehrer, der keinen Widerspruch duldete. «Beobachten Sie meinetwegen diesen Henk, schließlich ist er so etwas wie unser Vorzeigekind. Wir sind alle sehr stolz auf ihn und seine Ergebnisse. Sie können sicher sein, wir werden uns um ihn kümmern. Er braucht keine Angst mehr vor irgendeinem anderen Kind zu haben, wenn er diese wirklich hat. Doch bitte reden Sie nie wieder mit ihmüber   … über Gefühle.» Die letzten Worte hörten sich an, als spucke er sie direkt auf den Tisch.
    Jochen Redenius’ Aufforderung war mir ein Rätsel, sie kam mir unmenschlich vor. Ich merkte, wie heiße Wut sich in mir ausbreitete.
    «Sie können ja meinetwegen ein begnadeter Pädagoge sein, Redenius. Doch wie können Sie allen Ernstes von mir verlangen, dass ich ein Kind zurückweisen soll, dass sich mir anvertrauen will?»
    «Wir können es verlangen, es ist Ihr Job», antwortete Redenius ruhig und in keiner Weise aus der Bahn geworfen.
    «Ja, Sie haben Recht, es ist meine Aufgabe, ein Präsentationskonzept für Liekedeler zu entwerfen, und nicht, die Kinder in diesem Haus zu erziehen.» Ich lehnte mich vor, saß genauso forsch und aufdringlich am Tisch wie Redenius. «Soweit ich mich entsinne, habe ich meine Aufgabe bislang ziemlich gut gemacht. Zwei ausführliche Artikel in Fachzeitschriften, eine kurze, aber gelungene Reportage im Radio   …»
    «Niemand zweifelt an Ihren Fähigkeiten, Frau Leverenz!», warf Dr.   Schewe ein.
    Doch ich wollte mich nicht unterbrechen lassen, auch nicht von ihr. «Wer will mir verbieten, über meine eigentliche Arbeit hinauszugehen? Für mich sind Gesa und Henk und all die anderen Schüler etwas anderes als nur Objekte, an denen mehr oder weniger erfolgreich eine neue Form der Pädagogik angewandt wird. Ich interessiere mich für sie, sie sind mir ans Herz gewachsen.»
    Redenius verdrehte die Augen. «Kommen Sie uns nicht mit diesem Rührstück. Meinen Sie wirklich, es ginge uns nicht um die Kinder? Wir gehen die Sache nur etwas professioneller an als Sie. Also pfuschen Sie uns nicht ins Handwerk.»
    Doch ich war noch nicht fertig. Ich schlug fest mit der flachen Hand auf den Tisch und spürte, wie die Wucht meine Haut unter den Fingern brennen ließ. Dr.   Schewe wich zurück.
    «Trösten Sie sie?», entfuhr es mir wütend. «Nehmen Sie die Kinder in den Arm, wenn sie sich ängstlich oder allein fühlen? Hören Sie sich die Sorgen an, auch wenn sie uns Erwachsenen lächerlich und naiv erscheinen?»
    Redenius’ Lippen verzogen sich zu einem ironischen, einseitigen Lächeln.
    Ich hörte das Ticken der Holzuhr, die auf dem Aktenschrank stand, von draußen vernahm man das gedämpfte Lachen der Kinder, doch im Grunde waren es meine atemlosen Fragen, die den Raum füllten.
    Es ging mir besser. Auch wenn die Stille mit ihrer ganzen unangenehmen Leere zwischen uns stand. Zum Glück ergriff Sjard Dieken endlich das Wort. «Vielleicht sollten wir die

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