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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Gelegenheit nutzen und unserer neuen Kollegin noch ein wenig mehr über unsere Arbeit erzählen.»
    Dr.   Schewe nickte, doch die anderen im Raum zeigten mir ihre Abneigung, es war unmöglich, die demonstrativen Gesten zu übersehen: Silvia Mühring, die als Assistentin eigentlich nur das Protokoll zu führen hatte, legte den Stift zur Seite und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Robert Lindkrug, eigentlich ein freundlicher, geduldiger Naturwissenschaftler um die sechzig, schaute intensiv auf seine Armbanduhr und zog breit und ausladend seine Mundwinkel nach unten.
    Jochen Redenius aber sprang auf, lachte kurz und bissig und öffnete die Tür zum Flur.
    «Was machst du?», fragte Dr.   Schewe.
    «Ich schaue, ob unsere Putzfrau in der Nähe ist, wir können sie dann ja auch gleich in unser pädagogisches Konzept einweisen,für alle Fälle. Falls sie zwischen Fensterputzen und Bodenwischen auch ein wenig Lust verspürt, an unseren Schülern herumzubasteln.»
    Silvia Mühring zuckte leise lachend mit den Schultern, bis ein wütender Blick ihrer Vorgesetzten sie zum Aufhören zwang.
    Redenius, sichtlich zufrieden mit seiner überzogenen Reaktion, schloss die Tür und nahm grinsend auf seinem Stuhl Platz, diesmal rittlings.
    «Ich weiß nicht, aus welchem Grund Sie mich dermaßen bloßstellen wollen, Redenius.» Es gelang mir, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken, obwohl sich in meinen Augen bereits Tränen der Wut sammelten. «Sie können mir gar nicht verbieten, dass ich mich auch über meine so genannten Kompetenzen hinaus mit den Kindern beschäftigen werde. Und eines können Sie mir glauben: Bevor ich Ihnen noch einmal davon berichten sollte, beiße ich mir lieber die Zunge ab.»
    Alle starrten mich an und ich brachte zum Glück ein relativ überzeugendes Lächeln auf die Lippen. «Und jetzt wartet meine Arbeit auf mich. Die Einführung in die Arbeit von Liekedeler können Sie sich für die Putzfrau aufsparen. Schönen Tag noch!»
    Ich war wirklich froh, als meine Hände den Türgriff fanden und ich, nicht zu hektisch, beinahe beherrscht, den Raum verließ. Fast hätte ich Henk Andreesen übersehen, der mir fröhlich hüpfend auf dem Flur entgegenkam.
    »Hallo, Frau Leverenz, geht es Ihnen nicht gut?», fragte er so harmlos und unverkrampft, wie nur Kinder es können.
    «Hey, es ist alles in Ordnung», sagte ich, doch bereits beim ersten Wort lösten sich die heißen Tropfen in meinen Augen und liefen unaufhaltsam die Wangen herunter.
     
    Sie hatte geheult.
    Kein Zweifel, als sie im Flur Henk Andreesen beinahe über den Haufen gerannt hätte, da hatte Gesa es genau gesehen, da hatte die Neue geheult.
    Später hatte Gesa noch auf dem Fußboden nach Tränentropfen gesucht, doch nichts gefunden. Henk hatte ihr dabei ziemlich verwundert zugesehen. Sie war sich sicher: Hätte er nicht so eine schreckliche Angst vor ihr seit dem Vorfall auf dem Dachboden, dann hätte er ihr ein paar gehauen oder sie zumindest beschimpft. Weil sie Okka Leverenz nachstellte, weil sie ihr gern ein paar Stolpersteine in den Weg legte. Sie hatte Herrn Lindkrug im Biologieunterricht ganz beiläufig erzählt, dass diese neue Frau Leverenz sie ständig nerve mit ihren Fragen, wo sie ja gar keine Lehrerin sei, sondern nur im Büro tätig, und Lindkrug hatte so getan, als wäre es ihm egal, doch sie wusste, dass die Lehrer es hassten, wenn man sich in ihre Arbeit einmischte. Und dann hatte sie Silvia Mühring gefragt, ob die Neue Dr.   Schewes neue rechte Hand werden könnte, so oft, wie man die beiden gemeinsam Kaffee trinken sah. Nichts davon stimmte, die Erwachsenen waren nur zu dumm, es zu merken. Und die blöde Okka Leverenz ahnte nichts davon. Gesa wusste, dass sie mit ihrem Lächeln noch jeden täuschen konnte. Sie stellte sich manchmal vor, dass in ihrem Schädel ein kleiner Hebel war, den sie nur umzulegen brauchte, von «Gesa Boomgarden» auf «liebes kleines Mädchen». Klack.
    Der Hebel ging nicht mehr wie mit Butter geschmiert, so leicht wie in den Anfangstagen in diesem Haus. Oft meinte Gesa, er wäre festgerostet, sie konnte sich nur noch schwer verstellen. Das rasende Dröhnen in ihrem Schädel machte ihr ein Lächeln beinahe unmöglich. Wenn es ganz schlimm wurde, dann setzte Gesa sich in ihr geheimes Versteck im Abwasserrohr hinter denBrennnesseln, drückte die Hände mit aller Gewalt gegen die Stirn und summte monoton in sich hinein. Erst dann, und auch erst nach ganz langen Minuten, konnte sie wieder ihre

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