Fischer, wie tief ist das Wasser
deinen Mitarbeitern nicht hinterherspionieren. Klar?»
Er sah mich traurig an und ließ die Schultern hängen, im selben Moment tat er mir Leid. Ich hatte überreagiert. Schließlich wusste ich doch nun, dass er einer derjenigen war, die an die gute Idee hinter Liekedeler glaubten – ohne Pillen. Ich hätte es schon eher wissen müssen, schließlich war er es gewesen, der Gesa Boomgarden gefunden und ins Krankenhaus gebracht hatte. Und auch als er mir an dem Morgen, als ich aus der Klinik kam, von Gesa Boomgardens Entführung erzählt hatte. Als er neben Dr. Veronika Schewe gestanden hatte, mir nicht in die Augen schauen konnte und den dezenten Hinweis gab, dass die Polizei im Anmarsch war und ich mich lieber aus dem Staub machen sollte. Da hätte ich es ahnen können. Ja, Jochen Redenius war ein anständiger Kerl. Ich mochte ihn trotzdem nicht. Doch er hatte es nicht verdient, dass ich ihn hier auf dem Flur so aggressiv anfuhr, nur weil er in meinem Büro gewesen war.
«Okka», sagte er leise. Und dann öffnete er meine Bürotür, dieKlinke hatte er immer noch in der Hand gehabt. Ich schaute hinein und auf meinem Schreibtisch lag eine Rose. Es war keine kerzengerade rote Rose aus dem Blumengeschäft, und gerade das gefiel mir so an ihr. Sie war schon ein wenig welk an den gelben Blütenblättern und ihr Stiel war krumm und schief. Sie war eindeutig aus dem Garten hinterm Haus. Ich ging hinein und nahm die Blume in die Hand, sodass ich den darunter liegenden Brief lesen konnte.
Es tut mir Leid, wenn meine Nachrichten in dir die Hoffnung geweckt haben, Sjard könne noch am Leben sein. Das war nicht meine Absicht. Meine Absicht ist eine ganz andere. Vielleicht gelingt es mir jetzt endlich, dir so zu begegnen, wie ich es von Anfang an hätte tun sollen. Leider tritt das Verliebtsein bei mir auf sehr unglückliche Art und Weise zutage, ich werde fies, ich beiße und kratze, ich lasse niemanden an mich heran. Ich bin kein Mann, der seine Gefühle in einem Lachen, einem Kompliment, einer liebevollen Geste offenbaren kann. Manchmal wünschte ich, ich wäre wie Sjard. Doch leider bin ich es nicht. Tut mir Leid!
Ich blickte mich um, wollte Jochen Redenius wenigstens einen verständnisvollen Blick zuwerfen. Doch er war bereits gegangen.
Als Vase für die Rose diente ein Kaffeebecher, den ich auf die Fensterbank stellte. Und jedes Mal, wenn ich die Rose in den nächsten Tagen dort stehen sah, war ich traurig und gerührt zugleich. Ich habe mit Jochen Redenius noch nicht wieder darüber gesprochen.
Er hat mir mit diesem Geständnis ein kleines Stück Hoffnung genommen, dass Sjard vielleicht doch eines Tages wieder bei mir sein könnte.
Deshalb sind die Stunden, bis man die Wasserleiche auf Helgoland identifiziert hat, kaum zu ertragen. Wenn ein kleines Stück Hoffnung schon so wehtut, wie schmerzhaft muss dann erst eine grausame Gewissheit sein?
Nach fünf Stunden, die ich nun beinahe regungslos in meinem Büro sitze, klingelt endlich das Telefon.
Er war es nicht.
Der Helgoländer Tote ist erst wenige Tage im Wasser gewesen und zudem laut Autopsie mindestens zwanzig Jahre älter als Sjard.
Er ist es nicht.
Kurz schließe ich die Augen, er lebt. Danke. Er lebt. Dann stelle ich die mittlerweile vertrocknete Rose ein Stück zur Seite, öffne das Fenster und lasse ein wenig frische Herbstluft in mein Zimmer.
«Kinder, kommt ihr abendessen? Henk, lass bitte Ingo in Ruhe! Hast du nicht gehört? Und sagt auch Dirk Bescheid: Hände waschen und ab an den Tisch. Es gibt Milchreis mit roter Grütze!»
Ich sehe den Kindern zu, wie sie eifrig jubelnd auf das Seeräuberhaus zulaufen.
Informationen zum Buch
Voller Elan tritt das «Küstenkind» Okka Leverenz ihren neuen P R-Job bei der Stiftung Liekedeler in Norden an. Dort sollen Kinder spielerisch und behutsam zu guten schulischen Leistungen gebracht werden. Durch einen tragischen Unfall beim Spiel stirbt die kleine Jolanda. Doch die Autopsie ergibt, dass sie an unerklärlichen Gehirnblutungen gestorben ist – die nicht vom Sturz stammen können. Als die Stiftungsleitung den Vorfall vertuschen will, macht sich Okka auf, die wahren Ursachen für den Tod des Mädchens herauszufinden, und gerät dabei selbst in Gefahr.
«‹Fischer, wie tief ist das Wasser› ist ein spannendes Buch, in einem Rutsch zu lesen. Eine gute Lektüre für den Urlaub, nicht nur an der Nordseeküste.» . (Radio Bremen)
«Ein schnörkellos spannend erzählter Krimi mit einem
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