Fischer, wie tief ist das Wasser
Zwischenlösung.
«Vielleicht habe ich es dir noch nie richtig deutlich gesagt, Okka, aber ich würde mich sehr freuen, wenn du und ich zusammenleben würden.»
«Ich weiß», sagte ich.
«Und warum würde dich das nicht freuen? Wir sind jetzt seit zwei Jahren zusammen, und du ziehst lieber mit einem Haufen fremder Pädagogenfuzzis unter ein Dach als mit mir.»
«Das ist es nicht, Ben», begann ich. Doch er war zu wütend, um mich ausreden zu lassen.
«Ich weiß jedenfalls, dass es nichts mit einer Zwischenlösungzu tun hat.» Er knallte mit der flachen Hand auf den Holztisch, der zwischen uns stand mit seinem flackernden Windlicht und den Tellern. «Du hast dich bislang nie durchringen können, bei mir einzuziehen oder sonst irgendetwas in unsere Beziehung zu investieren. Eine Zwischenlösung gibt es bei dir doch gar nicht, du hast dich längst entschieden, und zwar
gegen mich
.»
«Du siehst es vielleicht so. Du denkst, es geht nur für oder gegen dich. Aber es ist anders, ich habe mich nämlich zum ersten Mal für mich selbst entschieden.»
«Pah! Du jonglierst doch nur wieder mit den Worten. Typisch! Du glaubst, dass … dass ein wenig Rumlaberei und ein Paar aufgerissene Augen das Schlimmste verhindern können. Aber ich hab den Kuchen auf!» Er blickte mich wütend an, wütend, verbittert und todernst. «Für mich bedeutet es nämlich, dass ich besser wieder nach Oldenburg gehe, statt hier in einem windigen Kaff zu versauern. Mein ehemaliger Chef hat mir mehr als nur einmal gesagt, dass ich sofort wieder in der Pathologie anfangen kann, und ein Zimmer im Ärztewohnheim ist auch immer frei. Ist nicht so schön wie die Wohnung hier, die ich ja eigentlich für uns beide …» Ben schnaubte wütend. «Ach Scheiße! Alles ist besser, als weiterhin meine Karriere in der Unfallstation eines sterbenslangweiligen Kreiskrankenhauses den Bach hinuntergehen zu lassen und zu guter Letzt von meiner Freundin verarscht zu werden. Für mich bedeutet es das Ende, verstehst du?»
Natürlich tat es ihm weh, natürlich hatte er es nicht verdient, doch ich musste ihm den wahren Grund sagen. «Für dich ist es das Ende, Ben. Aber ich sehe zum ersten Mal so etwas wie einen Anfang vor mir. Ich habe endlich kapiert, dass ich nur allein auf den richtigen Weg komme. Es tut mir Leid, aber ich …», ich zögerte kurz, «… ich möchte allein weitergehen.»
«Na, dann verlauf dich aber nicht!» Er erhob sich mit einem wütenden Ruck, das Bierglas fiel zum zweiten Mal um, doch er stellte es nicht wieder hin. Ich starrte auf den Fisch auf meinem Teller und schaute nur einmal kurz auf, gerade in dem Moment, als er sich hastig zwischen die runden, voll besetzten Tische zwängte und sich den wutroten Kopf an einer Schiefertafel stieß, auf der hausgemachter Obstkuchen von geklauten Äpfeln angepriesen wurde. Dann blickte ich wieder nach unten, auf meine Hände, auf meine Arme, so, als sähe ich sie zum ersten Mal. Und falls er von der Fußgängerzone aus von draußen noch einmal zu mir hineinschaute, so schenkte ich ihm keinen Abschiedsblick, denn ich war mir sicher, dass mir seine traurigen Augen nicht einmal wehtun würden, und das machte mir ein wenig Angst. Und Angst war nicht das Gefühl, welches ich in diesem Moment haben wollte.
Es war nicht schwer gewesen, sich zu trennen, nur ein wenig unangenehm, wie das Stechen einer Nadel. Nur kurz umnebelte mich ein dumpfer Hauch von Mitleid, dann schaute ich endlich hinaus und freute mich über die vielen unbeteiligten Menschen, die mit der Abendsonne auf der Haut über den Neuen Weg spazierten und keine Ahnung hatten, dass genau in diesem Moment für mich ein neues Kapitel angefangen hatte. Sie überlegten vielleicht, ob sie sich ein paar Schritte weiter ein Eis beim Italiener gönnen sollten, und interessierten sich nicht eine Sekunde lang dafür, dass ich heute zwei der besten Entscheidungen meines Lebens getroffen hatte.
Kurz fingerte ich an der Speisekarte herum, war versucht, aus lauter Gier am Neuen noch ein Glas Wein zu bestellen, doch es kam mir irgendwie unschicklich vor; Ben war gerade aus meinem Leben verschwunden und ich zelebrierte den Abend.
Also verließ ich das Lokal, setzte mich, eins mit mir, fast glücklich,auf mein Fahrrad, es quietschte vergnügt wie ein albernes Baby, als ich nach rechts abbog. Wäre ich nach links zu Ben gefahren, so hätte ich Gegenwind gehabt. Nun aber schob mich ein weicher Sommerwind von hinten an und ich rollte beinahe von selbst
Weitere Kostenlose Bücher