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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ein Kerl ist und kann.»
Ich hatte die Feten nicht besucht, hatte es noch nicht einmal in Erwägung gezogen, dort hinzugehen. Keine Ahnung, warum die fast vergilbten Inserate immer noch in meiner Küche hingen. Manchmal stand ich davor und überlegte, ob wohl etwas los gewesen war auf diesen Partys.
    Die anderen drei Zettel waren tatsächlich Telefonnummern. Unspektakuläre Telefonnummern. Bens Nummer, die er mir damals am Anfang unserer Beziehung auf einem Bierdeckel notiert hatte, dann die Nummer meines Pizzataxis in großen roten Ziffern auf der länglichen Speisekarte und die Handynummer meines Vaters, die ich nie auswendig wusste, weil ich sie auch noch nie gebraucht hatte.
    Dort, wo er war, ging sein Handy meistens sowieso nicht, weil er sich als Reisejournalist immer in den entlegensten Winkeln der Erde aufhielt, und da auch Ostfriesland einer der entlegensten Winkel der Erde ist, kamen Telefonverbindungen zwischen ihm und mir höchst selten zustande.
    Und was immer ich ihm bislang hatte sagen wollen, konnte warten. Nichts in meinem Leben war so dringend gewesen, als dass ich es nicht aufheben konnte, bis er wiederkam, bis er die Tür zu unserer Wohnung aufgeschlossen hatte, mir um den Hals gefallen war und bis er augenzwinkernd seinen Lieblingsspruch aufgesagt hatte: «Ich hatte ganz vergessen, wie groß du schon geworden bist!» Danach legte er mir immer ein kitschigexotisches Souvenir auf den Esstisch. Das war sein Ankunftsritual, das ich so sehr an ihm liebte. Erst danach war für mich die Zeit gewesen, ihm beispielsweise zu sagen, dass es geklappt hatte und ich mein Volontariat bei derselben Hamburger Zeitung machen würde wie er. Oder später: dass ich die Journalistenschule geschmissen hatte und nun in Oldenburg BWL studierte, dann, dass ich von der trockenen Wirtschaftskunde die Nase voll hatte und es einmal mit Psychologie versuchen wollte. Als ich ihm sagte, dass ich wieder in unsere Heimatstadt Norden zurückkehren würde, um dort bei einer Teeimportfirma zu arbeiten, da hat er sich richtig gefreut. «Klar ziehst du wieder bei mir ein!», hatte er damals vor knapp zwei Jahren gejubelt. Ich war ihm dankbar, dass er mir nie Halbherzigkeit und mangelndes Durchhaltevermögen vorgeworfen hat, ich habe es mir selbst oft genug vor Augen geführt, dass ich bislang noch keine wirklichen Erfolge vorzuweisen hatte. Schließlich war ich wieder hier, in Norden, der kleinen, etwas altmodischen Küstenstadt, die den Namen einer Himmelsrichtung trug und wirklich so etwas wie der Rand der Welt zu sein schien. Zwischenden verträumten Backsteinvillen und alten Gutshöfen verlief die einzige Bundesstraße in dieser Gegend und führte die Nordseetouristen auf ihre letzten fünf Kilometer bis zur Küste. Durchgangsverkehr, nur ich war hier hängen geblieben. Ich liebe es, mich selbst zu kritisieren. Oft stehe ich neben mir und ermahne mich mit dem gehobenen Zeigefinger einer aufmerksamen Tante.
    Gerade aus diesem Grund dachte ich an diesem Tag, an einem wunderschön warmen Sommertag, als Vater mir die Notiz hingelegt hatte, bevor er wieder für einen Auftrag verschwand, die Welt hielte für einen kurzen Moment inne und unterbrach ihre ewige Drehung um sich selbst.
    «Liekedeler» hat angerufen, du kriegst den Job.
Peng! Große, lebensverändernde Dramatik in sieben Wörter verpackt, auf einen abgerissenen Zettel geschrieben und neben dem Frühstücksgeschirr auf den Küchentisch gelegt.
    Unfähig, mich wenigstens ein paar Millimeter zu rühren, blieb ich regungslos am voll gestellten Spültisch stehen und hielt das Blatt Papier in meiner Hand, so behutsam, weil ich dachte, die Buchstaben könnten herunterfallen und auf dem ungefegten Boden zwischen den Krümeln der letzten Woche verloren gehen.
    Ich dachte an das erhabene alte, rote Gebäude auf der samtigen Warft am Rand von Norden.
Liekedeler.
    Die Backsteine waren phantasievoll aufeinander gelegt worden und zeichneten wiederkehrende Muster in das Mauerwerk und ganz oben unter dem Giebel war ein kreisrundes Fenster. Efeu rankte an der rechten Seite empor und versteckte fast die mannshohen, dunklen Fenster, sodass das Haus auf den ersten Blick aussah wie ein verwegener Pirat mit Augenklappe.
    Ja, ich konnte mir vorstellen, jeden Morgen mit meinemschwarzen, federnden Hollandrad dort vorzufahren, eine Mappe voller neuer Ideen auf dem Gepäckträger, die den bereits tadellosen Ruf der Firma weiterhin auf Hochglanz polieren sollten. Lachende Kinder spielten zwischen den

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