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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Durch die Scheiben war viel Grün zu sehen, dazwischen ein nahtlos blauer Himmel. Das Fenster war gekippt und ich konnte das entfernte Tuckern eines Traktors hören, sonst nichts. Die Kinder waren noch nicht im Haus, es war später Vormittag und sie waren wohl noch in ihren Schulen. Doch ich war mir sicher, dass ihr Rufen und Lachen sich zu einer wunderbaren Geräuschkulisse zusammenfinden würde. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass mein Name auf dem Klingelknopf neben der alten Haustür stand und wie ich abends im Sommer schulterfrei und mit einemGlas Wein in der Hand im Garten sitzen und ein Buch lesen würde.
    «Was ist denn nun, Frau Leverenz?»
    «Es klingt gut   … das mit der Wohnung unter dem Dach.» Eigentlich fand ich sogar, dass es wunderbar klang.
    Vielleicht hatte ich in diesem kurzen Moment schon daran geglaubt, mit Sicherheit aber innig gehofft, dass ich den Job bekommen würde. Und als ich wieder auf dem Sattel meines Fahrrads saß, den Schotterweg hinabfuhr und einen Blick über die Schulter wagte, da hatte ich das Gefühl, der einäugige Pirat aus Backstein zwinkerte mir mit seinen Fensteraugen zu.
    «Wir werden uns kennen lernen, Liekedeler», flüsterte ich mir auf dem Heimweg immer wieder zu.
    Auch wenn es zu schön schien, um wahr zu werden. Ich wollte mir nichts vormachen, es gab Bessere als mich. Doch ich freute mich auf den Tag, an dem mein Leben bei Liekedeler beginnen sollte.
     
    Die leeren Spiel- und Aufenthaltsräume gleich am Eingang warteten auf das Eintreffen der Kinder und durch die große, offene Tür ganz hinten konnte ich sehen, dass die Tische im Speisesaal bereits gedeckt waren. Eine Köchin kam gerade die Kellertreppe hinauf und trug einen Korb mit Brot unter dem Arm.
    «Mahlzeit», grüßte sie. Ich eilte ein paar Schritte voraus und hielt ihr die Tür rechts vom Speisesaal auf, aus der Küche dahinter drangen geschäftige Geräusche und der Geruch von gegartem Gemüse.
    «Vielen Dank, junge Frau», sagte die Köchin. «Und herzlich willkommen bei Liekedeler. Heute gibt es Gemüsesuppe.»
    «Riecht gut», lobte ich lächelnd, dann ging ich in mein neuesBüro, welches der Küche gegenüberlag. Dort roch es auch gut, nach frischer Farbe. Der Raum war so sauber und unpersönlich wie die Zimmer in den Fotografien eines Möbelhauses, doch er war sonnig und nur die Scheiben des Fensters trennten mich von einem grenzenlosen Blick über das flache, grüne, offene Land. Ich stellte meine Tasche auf die gläserne Schreibtischplatte, sie wirkte wie ein gerade zugefrorener See an einem Wintermorgen, wenn noch keine Schlittschuhkufen die Oberfläche zerkratzt hatten. Dann öffnete ich das Fenster, nahm einen tiefen Atemzug voller Sommerluft in meinen Körper auf und war glücklich und gespannt zugleich.
    Schon johlten die ersten Kinderstimmen von draußen herein. Die Schule war vorbei und gleich würden die fünfzehn Liekedeler-Kinder das Haus mit ihrem Leben füllen. Die meisten kamen mit dem Rad, es waren nur zwei Kilometer von der Stadt bis hierher, nur die Kleineren wurden vom Schulbus ausgespuckt, der schwer und breit durch die grauen Landstraßen kroch.
    Ein bunter Gummiball flog durch das offene Fenster in mein Büro, sprang dort ungezogen auf den leeren Regalen herum und blieb wie ein verschreckter Vogel auf meinem gepolsterten Bürostuhl liegen.
    Ich griff nach dem farbenfrohen Eindringling und hörte eine aufgeregt flüsternde Stimme ein paar Meter von meinem Fenster entfernt.
    «O Scheiße, das gibt Ärger.»
    Ich beugte mich hinaus und erkannte das dunkelhaarige Mädchen sofort. Sie hatte auf der Fotografie in Dr.   Schewes Zimmer so brav und beherrscht am Klavier gesessen. Nun kauerte sie mit den Knien im Kies und biss sich auf der Unterlippe herum, konnte sich ein Schmunzeln aber nicht verkneifen. Danebensaß ein dünner Junge mit ausgestreckten Beinen, er blinzelte und hob seine rechte Hand an die Stirn, als er zu mir hochsah und von der Sonne geblendet wurde.
    «Wer von euch beiden war das?», fragte ich mit bemüht strenger Miene. Ich konnte mir den Spaß nicht verkneifen, ihnen einen süßen kleinen Schrecken einzujagen. «Wer von euch beiden glaubt, dass es wegen dieses harmlos herumspringenden Flummis Ärger gibt?»
    «Ich», sagte der Junge. Ich konnte sehen, dass sein linker Fuß so dick und rund war wie ein Pferdehuf und in einem dunkelbraunen, merkwürdigen Schnürschuh steckte.
    «Und wie heißt du?» Noch immer legte ich ein wenig gespielten Zorn in meine

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