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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Kindern die gleichen Chancen gibt, sich in der Welt zurechtzufinden. Nehmen wir dich als Beispiel, Gesa: Du bist kein dummes Kind, das bist du nie gewesen.»
    «Ich weiß!»
    «Aber deine Eltern haben dich nicht gefördert. Dein voll funktionstüchtiges Gehirn hat jahrelang keine wirkliche Nahrung erhalten, mit der es sich optimal hätte entwickeln können. Und aus diesem Grund standen die Chancen auf ein erfolgreiches, normales Leben für dich ziemlich schlecht. Und du hattest keine Schuld daran. Überhaupt nicht!»
    «Meine Eltern haben Schuld, meine Eltern und meine Geschwister, das weiß ich schon lange.»
    Er setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. Es war nicht schlimm, dass er sie berührte. Er war der Mann, der sie von den Schmerzen befreien konnte. Er durfte sie berühren.
    «Du warst als eine der Ersten an unserem Projekt beteiligt.»
    «Moment, ich
war
nicht beteiligt, ich
wurde
daran beteiligt, das ist ein Unterschied!»
    «Da hast du Recht, Gesa, aber damals, als ich dich das erste Mal bei mir in der Praxis hatte, da wärest du auf einen solchen spitzfindigen Gedanken niemals gekommen. Damals warst du noch gar nicht in der Lage dazu. Das hast du alles Rytephamol-B zu verdanken, dass dein Kopf so schnell und richtig denkt.»
    Er drückte sie ein wenig, so als wäre er ein Vater, der stolz aufseine Tochter war. «Die Sache mit den Schmerzen ist leider nicht ganz so erfreulich. Gott sei Dank haben wir dieses Problem mit den neuesten Testreihen in den Griff bekommen. Doch wie gesagt: Du warst eine unserer ersten Probanden und hast nun mit den Nebenwirkungen zu kämpfen. Deine Adern im Kopf sind wahrscheinlich zu dünn geworden. Du musst es dir so vorstellen, dass die Blutbahnen wie Gummibänder gedehnt werden müssen, um all die neuen Nervenverbindungen mit Sauerstoff zu versorgen. Es ist ein bisschen einfach erklärt, in Wirklichkeit ist das Problem natürlich wesentlich komplizierter, doch du weißt, wenn ein Gummiband zu weit gedehnt wird, dann wird es dünn und brüchig und   …»
    «…   irgendwann platzt es!», sagte Gesa. Merkwürdig. Es tat gut, diesen Satz zu vollenden. Es war eine Erleichterung, nun endlich zu wissen, was in ihrem Schädel stattfand.
    «So ist es. Wir können dich operieren, Gesa. Wir werden alle unser Bestes geben, damit wir den Schaden wieder gutmachen, den wir am Anfang unseres Experimentes verbrochen haben. Doch du wirst danach leer sein. Dich an nichts erinnern. Wir können dir einen neuen Namen geben und eine neue Familie. Für uns ist das nicht so schwer, wir haben genug Menschen, die uns unterstützen und die sich gern um ein hübsches, intelligentes Mädchen wie dich kümmern möchten. Du wirst diejenige sein, die am meisten zu leiden hat. Denn natürlich wirst du deine Familie, deine Freunde, alle Menschen, die du kanntest, nicht wiedersehen. Du wirst dich aber auch nicht an sie erinnern.»
    Gesa schwieg. Sie ließ die Beine über den Rand der Pritsche baumeln und schwieg. Sie dachte an das Liekedeler-Haus und an ihr Versteck, ihr wunderbares Versteck, welches nun von Jochen Redenius entdeckt worden war. Was machte es schon,wenn sie gelöscht werden würde. Eine neue Familie? Vielleicht eine Mutter, die so aussah und so wunderbar nach nichts roch wie Dr.   Schewe? Sie schwieg noch ein wenig. Der Schlaksige zog in der Zwischenzeit eine Spritze auf.
    «Wer kommt denn nun zu Besuch?», fragte sie und lächelte schief.
    «Er heißt Professor Birger Isken und ist der beste Arzt, den du dir wünschen kannst. Er wird dir helfen, Gesa, ganz bestimmt!»
    Gesa Boomgarden drehte ihre Hände, als ihr endlich die Klebestreifen von den Armen entfernt wurden. Sie schaute auf ihre Finger herunter, machte kurz eine Faust, erkannte noch ein wenig Erde aus ihrem Versteck unter den Fingernägeln. Das sind meine Hände, dachte sie, meine Hände!
    Dann hielt sie den rechten Arm steif und bereitwillig der Spritze entgegen.
     
    Als wir die Auffahrt zum altfriesischen Herrenhaus entlangfuhren, hatte ich immer noch Zweifel, ob ich richtig gehandelt hatte. Van Looden war freundlich, ich beobachtete ihn mehrmals dabei, wie er Henk durch den Rückspiegel zuzwinkerte und Grimassen schnitt und dieser, nicht ahnend, dass er mit seinem leiblichen Vater herumkasperte, ein wenig kichern musste. Malin Andreesen sagte noch immer nichts. Doch, einmal, beim Einsteigen, da hatte sie mir etwas zugeraunt. «Wenn wir da nicht einen gewaltigen Fehler machen   …»
    Doch was hätten wir

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