Fischerkönig
und besonders gefühlsduselig in Bezug auf ihren Bruder schien sie ja nicht. Oder, und diese Möglichkeit war ja noch nicht ganz ausgeschlossen, es war doch irgendwie der Hintermanns Heinz, sein Kumpel könnte ihm ja geholfen haben, aber na ja, das war doch wohl eher unwahrscheinlich. Momentan hatte Heiko keinen echten Favoriten. Vielleicht würde morgen der Zundels Harald den ersten Platz auf der Liste der heißen Kandidaten einnehmen.
Lisa schlief indessen gar nicht. Sie tat nur so, als ob sie schliefe. Denn sie liebte es, wenn sie mit geschlossenen Augen Heikos Blick spürte, wenn sie fühlte, wie er zärtlich ihre Wange streichelte, obwohl er glaubte, sie würde schlafen. Mit Mühe konnte sie dann ein Lächeln unterdrücken. Sie mochte diesen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachsein, wo ihr Körper schwer und müde war, ihr Geist aber hellwach. So konnte sie wunderbar nachdenken. Soso, nun hatten sich also die Regina und der Simon verlobt. Sie selbst war bisher nur mit einem Mann so weit gekommen, und der hatte sie dann beschissen. Stefan. Gut, er hatte sie zurückhaben wollen, aber sie hatte nicht mehr gewollt. Und es war nicht nur der verletzte Stolz gewesen. Nein. Sie hatte auch Heiko kennengelernt und gewusst, dass das mit ihm etwas Besonderes war. Etwas ganz Besonderes. Nur leider waren die Hohenloher so gar nicht romantisch. Und wenn sie es waren, dann zeigten sie es nicht. Bindungswütig waren sie auch nicht gerade, heiratete man als Mann dann schließlich doch, so wurde man ausgiebig bedauert, setzte überwiegend Leidensmienen auf, wenn man von zu Hause redete, und sprach von seiner Frau fortan als ›Regierung‹ oder ›Cheffe‹. Lisa grinste in sich hinein. Das war sicherlich ein bisschen übertrieben. Aber es hatte schon einen wahren Kern. Sie wusste, dass Heiko sie liebte, über alles. Aber sie wusste ebenso gut, dass der Tag, an dem er vor ihr niederknien würde und ihr, hoffnungsvoll zu ihr aufblickend, einen Ring an den Finger stecken würde, niemals kommen würde, niemals. Dazu war er nicht der Typ. Er würde höchstens eines Tages murmelnd vorschlagen, dass sie doch heiraten könnten. Maximal. Es war ja nicht so, dass Lisa unbedingt wollte. Sie wollte mit ihm zusammenbleiben, ja. Aber auch sie war noch nicht bereit für Kinder, auch wenn ihre Schwiegermutter in spe und ihre Mutter sich beide Enkel wünschten. Es war doch eher so eine Stolzsache. Denn die Verlobung anzuleiern, war ganz eindeutig Heikos Aufgabe. Aufgabe des Mannes, denn da war sie altmodisch. Nun. Man würde sehen.
Freitag, 15. August 2014
Als sie ins Büro kamen, saß bereits Irina Siegler an ihrem Schreibtisch. Sie trug ein orangefarbenes Sommerkleid und war wie immer perfekt geschminkt und frisiert, trotzdem wirkte sie irgendwie derangiert und furchtbar nervös. »Frau Siegler«, meinte Heiko überrascht. Die Kommissare setzten sich, während Irina ein Aufstehen andeutete. »Bleiben Sie doch sitzen. Was kann ich für Sie tun?« Heiko nahm einen Lapislazuli zur Hand, der auf der Fensterbank von der Morgensonne beschienen wurde, und drehte ihn sinnend zwischen den großen Fingern hin und her.
»Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Ich … habe mich im Tag geirrt. Den Herrn Sackler habe ich nämlich erst am nächsten Abend aus dem Haus gehen und wieder heimkommen sehen, etwa um die Zeit.« Heiko schwieg und musterte die Frau eingehend.
»Und das fällt Ihnen jetzt plötzlich ein? So quasi spontan?«
»Es tut mir leid, ich habe mich eben getäuscht.«
Lisa seufzte und rückte ihren Pferdeschwanz zurecht, dessen Gummi sich gelöst hatte. »Wenn Sie mir die Frage gestatten, Frau Siegler – was ist da los?« Irina knetete ihre Hände, blinzelte verlegen und senkte schließlich den Blick. »So kann man sich nicht täuschen. Da ist doch was im Busch.« Schließlich, als Irina ihren Blick wieder hob, schimmerten Tränen in ihren Augen. »Der Kerl ist ein Schwein. Der beobachtet mich Tag und Nacht. Wissen Sie, wie sich das anfühlt, wenn man die ganze Zeit beobachtet wird? Man kann sich nie mehr sicher fühlen, ständig ist dieser Kerl präsent und tut Gottweißwas, während er zu dir ’rübersieht. Er macht Fotos und dokumentiert deinen ganzen Tagesablauf.« Heiko schwieg, und Lisa nickte nachdenklich. »Und da haben Sie sich gedacht, man müsste dem doch mal eins auswischen.« Irina presste die Lippen zusammen und senkte wieder den Kopf. »Neulich war er wieder bei mir und wollte mit mir anbandeln.«
»Sie haben
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