Fischerkönig
Hohenlohern maximal zu ›Riddern‹ verunstaltet wurde, passiert und befanden sich nun am Ortseingang von Triensbach. »Wo dieser Kerl allerdings wohnt, das ist mir nicht so ganz klar«, fuhr Heiko fort. Aber Gott sei Dank war das ja nicht wirklich ein Problem. Denn kaum durchfuhr ein Auto, das nicht zur unmittelbaren Nachbarschaft gehörte, ein Dorf von der Größe Triensbachs, so war einem die Aufmerksamkeit aller gerade zufällig Anwesenden sicher. Die Kinder hielten ihre Fußbälle fest und starrten unverhohlen herüber, während die Rentner und Omas, die in den Gärten an ihren Rosen und Tomaten herumzupften, eher aus dem Augenwinkel herlinsten, sozusagen etwas professioneller. Ein junger Mann wusch hingebungsvoll sein Auto, einen tiefer gelegten Golf mit Flip-Flop-Lack, das Statussymbol der Landjugend. Er schien sie als Einziger nicht wirklich zu bemerken. Heiko betätigte den Fensterheber des M3, der im Gegensatz zu dem beim alten Golf natürlich elektrisch war. Jetzt hob der junge Mann doch den Kopf, taxierte anerkennend den schwarzen BMW – der ein noch größeres Statussymbol der Landjugend und zudem Heikos Lieblingsspielzeug war – und kam näher, als Heiko ihn heranwinkte. »Mir suchen den Zundels Harald«, meinte der Kommissar. Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes. »In der Ortsmitte links und dann bis zum Wald. Aber passt auf, der hat a grooßi Katz!« Lisa fragte sich, warum man sich denn vor einer großen Katze in Acht nehmen musste. Okay, Garfield war auch riesig und manchmal Furcht einflößend. »Dankschee«, sagte Heiko und lenkte den BMW mit quietschenden Reifen davon. »Du Prolet«, tadelte Lisa, grinste aber über beide Ohren.
Kurze Zeit später wussten sie, was der Mann mit der großen Katze gemeint hatte. Zum Hof, wo der Zundel wohnte, gehörte nämlich eine Weide, auf der man normalerweise Kühe vermutet hätte. Lisa blieb fast das Herz stehen, als der Wagen dicht an der Wiese, die mit einem kaum zwei Meter hohen Elektrozaun eingefasst war, vorbeirollte und sie sah, was da auf der Weide lag. Es handelte sich nämlich nicht um eine Kuh, nicht um Pferde, Schafe, Schweine oder Ziegen, nein. Vielmehr lag da auf der Wiese ein Löwe. Ein richtiger großer afrikanischer Löwe. Das Tier döste schläfrig in der Morgensonne, die in Hohenlohe zwar nicht unbedingt afrikanische Qualität hatte, aber jetzt, im Hochsommer, sicherlich zum Aufwärmen reichte. Schläfrig öffnete der Löwe jetzt die Augen und hob den Kopf, um ihn gleich darauf wieder auf eine seiner gewaltigen Tatzen abzusenken und gleichgültig weiterzudösen. Heiko drehte den Kopf wieder nach vorne und ließ den Wagen weiterrollen. Lisa räusperte sich. »Sag mal, du hast den Löwen grad auch gesehen, ja?«, vergewisserte sie sich. Heiko nickte. »Ja. Der war echt.« Beide schwiegen leicht schockiert und bogen endlich in den Hof ein. »Wieso hat der einen Löwen?«, fragte Lisa entgeistert. Heiko zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.« Während sie vor der Haustür warteten, konnte Lisa nicht umhin, die Weide zu beobachten, wo der Löwe immer noch in unveränderter Position ruhte. Unwillkürlich stellte sie sich vor, was passieren würde, wenn der Löwe auf die Idee käme, diesen lächerlich niedrigen und wahrscheinlich auch lächerlich wirkungslosen Zaun zu überspringen oder gar mit seinen gewaltigen Tatzen niederzureißen und einen Spaziergang zu unternehmen. Oder auf Futtersuche zu gehen. Beziehungsweise auf die Jagd. In Hohenlohe von einem Löwen gefressen zu werden, erschien ihr nicht gerade als erstrebenswerte Todesart und würde ihr ganz sicher einen Platz auf der Liste der Darwin Awards einbringen. Sie war deshalb unendlich erleichtert, als sich von drinnen Schritte näherten und die Tür aufschwang. Ein Mittvierziger stand da und blickte aus hellgrauen Augen in Heikos und Lisas schockierte Gesichter. Er trug das früh ergraute Haar kurz geschnitten und hatte schwarze Jeans und ein ebensolches T-Shirt an. Nicht unattraktiv, wie Lisa feststellte. »Grüß Gott«, meinte er in fragendem Tonfall und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Kriminalpolizei, Wüst und Luft«, stellte Heiko vor.
»Ja?«
»Also, erlauben Sie mir mal eine Frage, die nichts mit unserer Arbeit zu tun hat«, schaltete sich Lisa ein. Sie konnte es immer noch nicht fassen. »Sie haben einen Löwen?« Nun erschien ein spitzbübisches Grinsen auf Zundels Gesicht, und die Lachfältchen um seine Augen herum wurden tiefer.
»Ich tu bloß einem
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