Fischerkönig
Heiko schluckte und sich vor seinem geistigen Auge die Folgen abzeichneten, die das für ihn haben konnte, applaudierten alle frenetisch und wünschten dem jungen Paar alles Gute.
Irinas Telefon klingelte. Sie verdrehte die Augen und hoffte, dass es nicht schon wieder einer dieser Kondolenzanrufe von Leuten, die sie gar nicht kannte, war. Genervt nahm sie das schnurlose Telefon aus der Halterung und drückte auf den grünen Hörer.
»Siegler?«
»Guten Abend Frau Siegler, hier Soldner.«
Irina schwieg, weil sie sich absolut sicher war, niemanden dieses Namens zu kennen. Sie fragte sich bereits, ob das einer dieser lästigen Werbeanrufe war. ›Sie haben doch da neulich bei diesem Preisausschreiben mitgemacht und jetzt sind Sie in der engeren Wahl. Und deshalb kriegen Sie jetzt das Drei-Jahres-Abo der Mala zum Vorzugspreis.‹ So was. Aber dazu fehlten der Stimme der kriecherische Unterton, diese Pseudo-Wärme und dieser ach so liebevolle Tenor, den die Callcenter-Mitarbeiter sich so mühevoll antrainierten. Diese Stimme war wesentlich kühler, gewohnt, Befehle zu erteilen. Ein Geschäftsmann. »Ich rufe im Auftrag meines Mandanten, Herrn Eberhardt Sackler, an.« Irina schluckte. Das war nicht gut, gar nicht gut. »Ja?«, brachte sie hervor, und ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen. »Herr Sackler lässt Ihnen ausrichten, dass er mich mit einer Verleumdungsklage gegen Sie beauftragen wird, sollten Sie Ihre Beobachtung« – er betonte das letzte Wort auf eine spöttisch-ironische Weise, sodass Irina glaubte, ein Grinsen durch den Hörer wahrnehmen zu können, welches aber keinesfalls warmherzig war – »nicht noch einmal überdenken. Und glauben Sie mir, wenn es sein muss, dann nehme ich Sie nach Strich und Faden auseinander. Rufmord und so weiter, das ganze Programm.« Irina hatte einen Hautfetzen am Nagelrand ihres Zeigefingers entdeckt und nagte nun daran. »Hm«, machte sie ins Telefon.
»Haben Sie mich verstanden?«, insistierte der Anwalt.
»Ja, habe ich.«
»Gut. Dann tun Sie das Richtige.«
Lisa hatte im Wagen auf dem Heimweg kein Wort verloren über die Verlobung, aber Heiko hatte durchaus bemerkt, wie begeistert sie geklatscht hatte. Sicherlich wollte sie sich auch bald verloben und dann schnellstmöglich heiraten. Kinder kriegen womöglich. Heiko schüttelte sich innerlich. So einen greinenden kleinen Kerl konnte er jetzt noch nicht brauchen. Sicher nicht. Und heiraten oder sich zumindest verloben – das wäre ja dann so was ganz Festes. Nicht, dass er sich nicht vorstellen konnte, mit Lisa ganz fest und für immer und ewig zusammen zu sein. Aber eine Verlobung machte das Ganze so offiziell. Gut, Simon war 39, da wurde es höchste Zeit irgendwie. Heiko schluckte und dachte daran, dass er selbst auch schon 36 war. Seine Mutter lag ihm schon andauernd in den Ohren. Die Lisa sei doch ein super Mädle, so eine hätte er doch noch nie gehabt, und es gäbe doch keine Bessere für ihn, die würde ihm auch ab und zu mal Bescheid geben, und das wäre gerade recht, so stur, wie er immer sei. Heiko betrachtete seine Freundin, die ihren Kopf auf seinen ausgestreckten linken Arm gebettet hatte und ruhig schlief. Seine Mutter hatte recht, er konnte keine Bessere finden. Trotzdem, eine Verlobung war ein gewaltiger Schritt. Ein Schritt, der nicht mehr rückgängig zu machen war. Obwohl. Der Siegler hatte es damit scheint’s nicht so genau genommen und hatte die Lilli Hegenbach ganz bös verarscht. Kein Wunder, dass die verbittert war. Heiko fiel ein, dass die Frau auch kein richtiges Alibi hatte. Sie hatten in diesem Fall wirklich noch so einiges zu klären. Am nächsten Tag würden sie sich aber erst einmal diesen Vizefischerkönig vornehmen. Wenn nämlich die Fischer genauso wild waren auf den Königstitel wie die Kleintierzüchter auf den Gesamtsieger beim Volksfest, dann reichte das durchaus als Mordmotiv. Lisa bewegte sich im Schlaf und schmiegte sich noch enger an ihn. Der Gedanke durchzuckte ihn, dass sie ihn eines Tages verlassen könnte. Das wäre nicht gut, gar nicht gut. Zart streichelte er ihre Wange. Vielleicht müsste er sich doch mit ihr verloben. Obwohl. Es musste ja nicht gleich eine Verlobung sein. Vielleicht ginge es auch anders. Jedenfalls hatte das Mordopfer durchaus einige Feinde gehabt, und so, wie es aussah, nicht zu Unrecht. Vielleicht war es auch der Lothar Holderberg, aber es fehlte ein echtes Motiv. Oder die Schwester. Geld war immer ein guter Grund, jemanden umzubringen,
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