Fischland Mord - Küsten-Krimi
an
die Mütze.
Kassandra schüttelte den Kopf. »Nein, danke, heute nicht.«
»Dir ist wohl deine Leiche zu sehr auf den Magen
geschlagen, was?«
»Oje.« Sie zog eine Grimasse. »Hat sich das schon
rumgesprochen?«
Der alte Bruno, von dem Kassandra nichts weiter wusste als den Namen
und dass er fast täglich hier angelte, nickte. »Was glaubst du denn? So oft
werden bei uns keine Leute kaltgemacht, klar spricht sich das rum.« Sein
faltiges Gesicht wirkte noch zerknautschter, als er jetzt rau lachte. »Hat der
Jung schon seine selbstredend maßgebliche Meinung zu dem Fall kundgetan? Ja?
Dachte ich mir.«
Ob sie wollte oder nicht, sie musste in Brunos Lachen einfallen. Der
widmete sich wieder seiner Angel, ohne Kassandra weiter auszufragen,
und sie verbrachte die nächste halbe Stunde damit, stumm auf die
See zu schauen, weit entfernte Frachter am Horizont und die Möwen zu beobachten
und mehrmals durchzuatmen, bis sie sich der Welt und ihrer Pension wieder
gewachsen fühlte.
Sie nickte Bruno zum Abschied zu und lief langsam zurück, wobei ihr
eine Bemerkung von Heinz Jung wieder einfiel, die ihr mit einem Mal nicht mehr
ganz abwegig schien. Er hatte Thun ein »übles Subjekt« genannt. Wie sie es
Dietrich und Menning gegenüber erwähnt hatte, war Thun ihr zwar als
freundlicher, zurückhaltender Mensch erschienen. Aber Eindrücke konnten
gewaltig täuschen, sie war die Erste, die das wissen musste. Wenn
sie daran dachte, wie Sven bei Menschen, die ihn nicht weiter
kannten, angekommen war – niemandem wäre eingefallen, dass fast alles an ihm
falsch gewesen war oder auf Betrug basiert hatte, sein Lächeln genauso wie sein
dickes Bankkonto.
War Thun ein übles Subjekt gewesen? Oder das Opfer eines üblen
Subjektes? Weshalb? Und wieso hatte sie bloß diesen Anmeldezettel verschlampt?
Ordnung war noch nie ihre Leidenschaft gewesen, aber seit sie die Pension
betrieb, riss sie sich am Riemen. Und sie schmiss hundertprozentig nie was weg.
Nicht absichtlich jedenfalls. Was das Wort Steuerfahndung bedeutete, wusste sie
nur zu gut, seit die plötzlich in Svens und ihrem Loft in Stralsund aufgetaucht
war.
Gedankenverloren schaute sie an der Fassade ihres Hauses empor, und
was sie sah, gefiel ihr: Das alte Kapitänshaus aus Backstein hatte links und
rechts der grün-weißen Tür je zwei Fenster, die Läden waren ebenfalls grün und
weiß gestrichen. Über der Eingangstür befand sich eine große Gaube mit zwei
weiteren Fenstern im Dach. Den Vorgarten hatte sie großzügig bepflanzt, den Weg
zur Tür säumten Blumenkübel. Auch der Garten hinter dem Haus war üppig bunt,
sie konnte durch den schmalen, mit Rasen begrünten Durchgang neben dem Haus hineinsehen.
Von hier aus wirkte er vollkommen unversehrt. In ihrer
Tasche kramte sie nach dem Schlüssel, da hörte sie Schritte
hinter sich. Die Bergers kamen gerade wieder und erkundigten sich nach den
Gerüchten, die überall kursierten. Kassandra konnte sie einigermaßen beruhigen
und bat sie, sich für die Polizei zur Verfügung zu halten.
Herr und Frau Berger zogen sich in ihr Zimmer zurück, ebenso wie
kurz darauf das junge Paar aus Osnabrück. Auch die beiden hatten schon von dem
Vorfall gehört, zeigten allerdings wenig Mitleid. Kassandra hörte, wie Madlen
Starke sagte: »Weißt du noch, Simon, wie der mich letztens so komisch angesehen
hat? Als ob er sich weiß Gott was vorstellt. Komischer Typ, ich hab seitdem
immer eine Gänsehaut gekriegt, wenn er in der Nähe war.«
Entweder leidet Frau Starke an zu viel Einbildungskraft, oder Thun
konnte das, was ihn umtrieb, wunderbar verbergen, dachte Kassandra. Sie
jedenfalls hatte nichts dergleichen bemerkt. Andererseits war Madlen Starke
wesentlich jünger als sie. Vielleicht hatte Thun ja
eine Vorliebe für junges Gemüse gehabt, trotz – oder wegen –
seines Alters. Attraktiv war er auch mit über sechzig noch gewesen, und
Kassandra konnte sich vorstellen, dass sein Aussehen die Frauen beeindruckt
hatte.
Menning und Dietrich ließen auf sich warten, aber weder die Bergers
noch Madlen Starke und Simon Fahrig beschwerten sich oder verließen das Haus.
Und was noch wichtiger war: Anscheinend beabsichtigte niemand von ihnen
auszuziehen. Als die Beamten schließlich kamen, baten sie Kassandra, ihre Küche
als Befragungsraum nutzen zu dürfen, und bald darauf wurde auch sie selbst noch
einmal zum Gespräch gebeten.
»Ich nehme an, der Anmeldezettel ist nicht
wiederaufgetaucht?«, fragte Dietrich süffisant und
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