Fischland-Rache
einwenden, aber Dietrich brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.
Paul schüttelte den Kopf. »Wennâs Sie nicht stört, würde ich lieber bleiben und warten.«
Dietrich zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen. Aber Sie sollten zusehen, dass Sie sich in der Zwischenzeit die Haare trocknen, sonst haben wir gleich den nächsten Toten â wegen Lungenentzündung.«
Dietrich und Harms entfernten sich, und Kassandra sah unsicher zu Paul.
»Das ist keine schlechte Idee«, sagte er. »Würdest du mir ein Handtuch holen?«
»Paul, du â¦Â«, fing sie an.
»Bitte«, unterbrach er sie. »Ich kann jetzt nicht selbst gehen.« Er sah wieder zurück zu den Ermittlern und schien Kassandra vergessen zu haben.
Zwei Stunden später hatte Paul Sascha identifiziert. Kassandra war nicht dabei gewesen, weil er das abgelehnt hatte. Nun saà sie oben im Schlafbereich auf der Galerie und hörte, wie er mit Dietrich und Harms das Haus betrat. Im Hereinkommen sagte Harms, dass er und Dietrich später auch noch mit ihr sprechen, das aber getrennt von Paul tun wollten. Korrekterweise hätte sie sich nun bemerkbar machen müssen. Stattdessen blieb sie sitzen.
Während der Unterhaltung â Dietrich nannte es in seiner etwas steifen Art »informatorische Befragung« â klang Paul völlig normal. Sie hätte unmöglich sagen können, was er empfand.
»Seit wann war Ihr Bruder in Wustrow?«, war Dietrichs erste Frage, die Paul jedoch nicht genau beantworten konnte.
»Vielleicht wissen Sie ja stattdessen wenigstens, wo Sie letzte Nacht gewesen sind?«, erkundigte sich Harms, eine Frage, die mehr nach der Vernehmung eines Verdächtigen klang als nach etwas rein Informatorischem.
»Bei Bruno Ewald«, sagte Paul ruhig.
Kassandra glaubte, sich verhört zu haben. Um ein Haar hätte sie ihre Anwesenheit durch ein »Wie bitte?« verraten, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.
»Wer ist das?«, erkundigte sich Harms.
»Ein Freund. Wohnt im Grünen Weg, drüben am Bodden, wenn Sie ihn fragen wollen.«
»Das wollen wir ganz bestimmt«, sagte Harms. »Da waren Sie die ganze Nacht?«
»Bis halb fünf etwa.«
»Das muss aber ein guter Freund sein«, stellte Harms fest.
»Ist er.« Paul blieb immer noch gelassen, und Kassandra wusste überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte.
»Was haben Sie so lange bei Herrn Ewald gemacht?«
»Ich bin Schriftsteller«, erklärte Paul. »Kassandra und Bruno sind meine Testleser, auÃerdem weià Bruno viel über Hochseefischerei, die in meinem aktuellen Projekt eine Rolle spielt. Wenn wir erst mal anfangen zu diskutieren, vergessen wir öfter die Zeit.«
»Natürlich. Ich nehme an, Sie haben sich Notizen gemacht.«
»Ja, wieso? Interessieren Sie sich auch für Hochseefischerei?«
Kassandra hörte ein merkwürdiges Geräusch, wie ein unterdrücktes Lachen, das sich schnell in ein Räuspern verwandelte. War das von Dietrich gekommen?
»Dürfen wir einen Blick auf Ihr Laptop werfen?«, fragte Harms unbeeindruckt. Offenbar hatte er es auf dem Schreibtisch stehen sehen. »Selbstverständlich sind Sie dazu nicht verpflichtet, aber es würde die Sache beschleunigen, wenn Sie uns kontrollieren lieÃen, ob Sie entsprechende Dateien abgespeichert haben.«
Paul schwieg eine Weile. »Sie mögen es sich kaum vorstellen können«, sagte er dann, »aber ich gehöre noch zu der Generation, die nicht mit den Fingern auf irgendwelchen Tasten geboren wurde. Ich mache meine Notizen handschriftlich.«
»Soll mir recht sein. Wenn wir dann bitte die sehen dürften?«
Kassandra musste Harms Respekt zollen, wenn auch widerwillig. Er und Paul lieÃen sich beide nicht die Butter vom Brot nehmen. Paul ging zum Schreibtisch, öffnete eine Schublade und reichte Harms wahrscheinlich sein schlichtes schwarzes A6-Notizbuch. Sie hörte Harms blättern.
»Das hilft uns nicht viel«, sagte er. »Das ist alles undatiert.«
»Tut mir leid«, gab Paul zurück, »wenn ich meine Notizen projekt- statt datumsbezogen mache. Ich konnte nicht wissen, dass ich sie mal als Alibi brauche. Es gibt für jeden meiner Romane so ein Notizbuch, sie tragen alle nur zwei Daten: das vom Beginn und das vom Abschluss des Projekts.«
Nun schaltete sich Dietrich in das Gespräch ein.
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