Fischland-Rache
war?«
»Das hat nicht viel mit Glauben zu tun. Bruno war nämlich hier, von halb zwei bis zwei, und danach ist er losgezogen, um dich zu suchen, während ich halb umgekommen bin vor Sorge.« Kassandra erschrak über ihren verbitterten Tonfall, aber dass Paul sie belog, wenn auch nur indirekt, traf sie tief.
Paul sah kurz weg. »Wenn du mir nicht vertraust, ist es das Beste, du rufst Bruno an und bittest ihn, der Polizei die Wahrheit zu sagen.«
»Wenn ich dir nicht vertraue?«, wiederholte Kassandra, doch Paul ignorierte die Spitze, und sie ergänzte: »Bruno wird tun, worum du ihn gebeten hast, und das weiÃt du.«
»Also liegt es an dir.« Pauls Miene war versteinert.
»Würdest du mir wenigstens sagen â¦?«, begann Kassandra, verstummte aber. Sie hatte fragen wollen, ob Sascha wirklich Geld gewollt hatte â da hörte sie ihn im Geiste sagen: Fragen Sie ihn nicht danach. Niemals. Sie hatte Pauls Schweigen akzeptieren wollen.
Er hielt sie nicht auf, als sie ihre Schuhe anzog und ihren Mantel nahm. Schon an der Tür, drehte sie sich noch mal um.
»Fährst du zu deiner Mutter nach Schwerin?«
Paul nickte.
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«
»Deine Entscheidung«, sagte er emotionslos.
Kassandra öffnete die Tür und ging.
Auf der StrandstraÃe sah sie ein paar Leute in Grüppchen zusammenstehen, Nachbarn unterhielten sich über den Zaun hinweg, Patienten, die zum Arzt wollten oder aus seiner Praxis kamen, blieben vor dem weiÃen Kapitänshaus im Vorgarten stehen, um Neuigkeiten auszutauschen. Kassandra wurde von Blicken verfolgt, aber niemand sprach sie an. Mit einer Ausnahme.
»Du meine Güte, Kassandra, das ist ja furchtbar, ich meine, nicht dass den Typ wer vermissen wird, nach allem, was man so hört, ich hab ihn ja nicht weiter gekannt, aber Paul tut mir natürlich leid, er ist immerhin sein Bruder und so, wie nimmt er es denn auf?«
Kassandra hatte sich längst an die Neugier und die atemlose Sprechweise ihrer Freundin gewöhnt. Heute ging ihr beides zum ersten Mal wirklich auf die Nerven. »Bitte, Violetta, sei nicht böse, aber ich möchte lieber allein sein.«
»Ja, verstehe ich, klar, entschuldige, aber wenn du jemanden brauchst, weiÃt du, dass ich immer da bin und Mona sicher auch, ihr seid ja schon so lange befreundet.«
»Danke.« Kassandra rang sich für Violetta ein Lächeln ab. Sie war ihr dankbar, nur hatte sie im Moment so viel anderes zu bedenken.
Kurz darauf passierte sie Heinzâ Haus. Sie hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass er längst mitbekommen hatte, was geschehen war, und beschloss, nach ihm zu sehen. Er öffnete nicht. Dabei war sie sicher, eine Bewegung hinter der Gardine wahrgenommen zu haben. Vielleicht hatte er nicht gesehen, dass sie es war. Sie ging in ihren Garten und versuchte es von dort aus. Vor ein paar Wochen hatte der alte Holzzaun zwischen ihren Grundstücken an einer Stelle den Geist aufgegeben. Sie hatten das morsche Holz weggeräumt und gefunden, dass die Lücke nicht störte. Jetzt stand sie auf Heinzâ Terrasse und spähte ins Wohnzimmer, das er in diesem Moment betrat. Sie klopfte an die Scheibe.
»Heinz? Ist alles in Ordnung bei dir?«, rief sie.
Er konnte das nicht überhört haben, doch er setzte sich demonstrativ mit dem Rücken zu ihr in einen Sessel.
Dietrich und Harms hatten wohl zuerst Bruno befragt, es dauerte, bis sie bei ihr klingelten.
»In Ihre Küche, wie üblich?«, fragte Dietrich amüsiert. Es war ihm nicht anzumerken, ob ihn Schmerzen plagten, nur heute früh hatte Kassandra hin und wieder den Eindruck gehabt, dass er die Zähne zusammenbiss.
Sie erwiderte das Lächeln. »Gern auch ins Wohnzimmer. Sie kennen sich ja aus.« Sie machte eine einladende Geste und lieà ihn vorausgehen.
Dietrich entschied sich für das Wohnzimmer, wo er und Harms ihr im Wesentlichen die gleichen Fragen stellten wie Paul â auch die, wie lange sich Sascha schon in Wustrow aufgehalten hatte.
»Erkundigen Sie sich im Hotel âºDünentraumâ¹Â«, schlug Kassandra vor und erklärte, dass sie ihm dort am gestrigen Abend begegnet war. Dass sie auch miteinander gesprochen hatten, behielt sie für sich. Sie war erleichtert, dass die Frage nach der letzten Nacht von Harms kam. Es mochte Haarspalterei sein, aber so musste sie Dietrich nicht direkt
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