Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Kelvar wahrhaftig vor seiner jungen Gemahlin niedergekniet war, um ihr die Fingerspitzen zu küssen, nachdem sie so bewegend davon gesprochen hatte, die Türme zum strahlendsten Schmuck ihres Landes machen zu wollen. Aus einer Quelle verlautete sogar, Lord Shemshy hätte der Herzogin persönlich gedankt und bei dem Ball am Abend ein ums andere Mal mit ihr getanzt, wodurch es dann beinahe zu neuen Differenzen zwischen den beiden Herzogtümern gekommen wäre.
Ich freute mich über ihren Triumph. Wenn man sich umhörte, dann wurden viele Stimmen laut, Prinz Veritas solle sich eine Gemahlin von ähnlich lauterem Charakter zur künftigen Königin erwählen. Angesichts seiner häufigen Abwesenheit aufgrund innerpolitischer Angelegenheiten oder der Jagd auf marodierende Piraten, begannen die Leute sich nach einem starken Herrscher in Bocksburg zu sehnen. Der alte König Listenreich war dem Namen nach immer noch unser Souverän, doch, wie Burrich bemerkte, das Volk sorgt sich gerne um seine Zukunft. »Und«, fügte er hinzu, »die Leute möchten den Thronfolger gerne in einem warmen Bett wissen, das ihn zu Hause erwartet. Das bereichert ihre Fantasie und bringt sie auf andere Gedanken. Denn die meisten führen ein karges, glanzloses Leben, weshalb sie es auch so sehr lieben, sich für ihren König ein romantisches Bild auszumalen. Oder für ihren Prinzen.«
Doch Veritas, das wusste ich, hatte weder Zeit, an vorgewärmte
noch an irgendwelche anderen Betten zu denken. Ingot war sowohl ein Exempel als auch eine Drohung gewesen. Nachrichten von anderen Vorfällen dieser Art ließen nicht lange auf sich warten. Drei Hiobsbotschaften erreichten uns in rascher Folge. Croft, oben auf den Nahen Inseln gelegen, war offenbar bereits einige Wochen zuvor von den Roten Korsaren heimgesucht worden. Aufgrund der Entfernung erfuhren wir erst jetzt davon, doch auf dem langen Weg von den eisigen Gestaden hatte der Bericht nichts von seiner düsteren Eindringlichkeit eingebüßt. Auch Einwohner Crofts waren verschleppt worden. Und die Dorfältesten wussten ebenfalls nichts mit dem seltsamen Ultimatum der Räuber anzufangen, dass sie Tribut zahlen sollten, oder die Geiseln würden freigelassen. Sie verweigerten die Zahlung, und wie in Ingot waren die Gefangenen tatsächlich zurückgeschickt worden, körperlich zumeist unversehrt, doch im Wesen schrecklich verändert. Croft hatte eine radikalere Lösung gefunden als Ingot; das raue Klima der Näheren Inseln brachte einen harten Menschenschlag hervor. Doch auch sie betrachteten es als einen Akt des Erbarmens, den seelenlosen Geschöpfen einen raschen Tod durch das Schwert zu geben.
Nach Ingot wurden noch zwei weitere Dörfer überfallen. In Felsentor bezahlte man das Gnadengeld. Am nächsten Tag wurden Leichenteile angeschwemmt, und die Dörfler sammelten sie auf, um sie beizusetzen. Man meldete Bocksburg den Vorfall ohne Kommentar, nur mit dem unausgesprochenen Vorwurf, dass man zumindest eine Vorwarnung erhalten hätte, wenn der König wachsamer gewesen wäre.
Die Bewohner von Schafsanger wählten einen anderen Weg. Sie weigerten sich, die geforderte Summe zu zahlen, aber gewarnt durch das Schicksal von Ingot, trafen sie Vorbereitungen.
Die zurückkehrenden Gefangenen wurden mit Stricken und Ketten empfangen, bei heftiger Gegenwehr auch bewusstlos geschlagen und wieder in ihr angestammtes Zuhause geschafft. Das ganze Dorf war sich einig in dem Bestreben, den Entfremdeten zu helfen, sich von dem Dämon, der Verzauberung oder was auch immer zu befreien. Solche Geschichten aus Schafsanger hörte man allenthalben: von der Mutter, die ihr Kind zurückwies, das man ihr zum Stillen brachte, und erklärte, während sie es verfluchte, sie wolle nichts zu tun haben mit dieser feuchten, winselnden Kreatur. Von dem kleinen Mädchen, das sich weinend und schreiend gegen seine Fesseln sträubte, nur um sich mit einer Fleischgabel auf den eigenen Vater zu stürzen, als dieser sich ihres Elends erbarmte. Manche Rückkehrer verdammten jene, die es gut mit ihnen meinten, schlugen nach ihren Angehörigen und spuckten sie an. Andere verfielen in Stumpfsinn und Trägheit, aßen und tranken, was man ihnen vorsetzte, ohne jedoch Dank oder auch nur einen Funken Zuneigung erkennen zu lassen. Von Fesseln und Ketten befreit, griffen diese zwar nicht ihre eigenen Familien an, nahmen allerdings auch nicht ihr früheres Leben wieder auf und machten keine Anstalten, sich wieder in die Dorfgemeinschaft einzufügen. Sie
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