Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
aufzunehmen. Um ihn herum waren in ihren besten Gewändern und kostbarsten Juwelen die wenigen Auserwählten versammelt, die man zur
Zeremonie geladen hatte, um dabei zu sein, wenn Veritas durch August Zeuge seiner eigenen Vermählung wurde. Galen, der als ein Vasall des Königs seine Kraft geben sollte, stand seitlich hinter Veritas und wartete auf eine Gelegenheit, ihn zu ermorden. Und Listenreich saß mit seiner Krone und seinem Hermelin ahnungslos auf seinem Thron, denn er hatte seine Gabe vor Jahren einmal missbraucht, wodurch seine Kraft abgestumpft und ausgebrannt war - allein sein Stolz erlaubte es ihm nicht, dies zuzugeben.
Durch Augusts Augen sah ich Kettricken bleich und ernst vor ihrem Volk auf dem Podium stehen. Sie verkündete mit gefasster Stimme, dass in der letzten Nacht Prinz Rurisk nun doch der Pfeilwunde erlegen sei, die er auf den Eisfeldern davongetragen hatte. Sie hoffte, sein Andenken zu ehren, wenn sie sich heute, wie er es gewünscht und geplant hatte, mit dem Kronprinzen aus den Sechs Provinzen vermählte. Dann wandte sie sich Edel zu.
In Bocksburg legte sich Galens klauenähnliche Hand auf Veritas’ Schulter.
Ich stürzte mich zwischen ihn und Veritas, stieß ihn zur Seite. Hüte dich vor Galen, mein Prinz. Hüte dich vor einem Verräter, der gekommen ist, um dir das Leben zu nehmen. Berühre ihn nicht.
Galens Hand verstärkte ihren Griff, und seine Fingerknöchel färbten sich weiß. Von einer Sekunde zur anderen entstand ein gieriger Mahlstrom, der dem erschöpften Veritas seine letzte Kraft auszusaugen begann. Seine Gabe war so stark, weil er sie mit allem nährte, was er hatte. Der Selbsterhaltungstrieb hätte einen anderen Mann bewogen, etwas für sich zurückzubehalten, aber Veritas hatte sich bedenkenlos aufgeopfert, um die Roten Korsaren von unseren Küsten fernzuhalten. So blieb für
diese Zeremonie nur noch wenig Kraft übrig, und Galen zehrte sie auf. Ich klammerte mich an Veritas und mühte mich verzweifelt, ihn aufzurütteln. Veritas!, schrie ich seinem Bewusstsein entgegen. Mein Prinz! Ich spürte, wie er sich aufzubäumen versuchte, doch vor seinen Augen wurde es dunkel. Im Hintergrund vernahm ich ein bestürztes Raunen der Gäste, als er taumelte und sich auf den Tisch stützen musste. Galen, der ungetreue Diener, beugte sich über ihn, als er auf ein Knie sank, und fragte mit geheuchelter Sorge: »Mein Prinz? Ist Euch unwohl?«
Ich bot meine ganze Kraft auf, um Veritas zu stärken, Reserven, von denen ich nichts geahnt hatte. Ohne weiteren Gedanken öffnete ich mich und ließ sie hinausströmen, wie Veritas es tat, wenn er die Gabe verwandte. Und von irgendwoher strömte mir Ersatz zu, um meine Leere zu füllen. »Nimm alles. Ich würde ohnehin sterben. Und du bist immer gut zu mir gewesen, als wir jung waren.« Ich hörte die Worte so deutlich, als hätte ich sie gesprochen, und spürte das Erlöschen eines Lebensfunkens, als eine Kraft von außen durch mich in Veritas hineinfloss. Er war plötzlich stark, berserkerhaft stark - und zornig.
Veritas umfasste Galens Hand, die sich in seine Schulter krallte. Er öffnete die Augen. »Mir geht es gut«, antwortete er ihm und erhob sich. »Ich bin nur besorgt um dich. Mir war, als hättest du gezittert. Bist du sicher, dass du zu Ende bringst, was du begonnen hast? Du musst dich keinen Herausforderungen stellen, denen du nicht gewachsen bist. Bedenke die Folgen.« Und wie ein Gärtner ein Unkraut aus dem Boden zieht, so lächelte Veritas und entzog dem Verräter alles, was an Kraft in ihm war. Galen griff sich röchelnd an die Brust und fiel zu Boden wie eine leere, nur menschenähnliche Hülle. Die Umstehenden
eilten herbei, doch Veritas, wieder ganz von der Gabe erfüllt, hob die Augen zum Fenster und sandte seine Gedanken in die Ferne.
August, höre, was ich dir sage. Berichte Edel, sein Halbbruder ist tot. Die Ausstrahlung seiner Gabe war wie ein brausender Sturm, und ich spürte, wie August vor dem Anprall zurückschrak. Galen war zu vermessen. Sein Übermut hat ihn zu Fall gebracht. Bedauerlich, dass der Bastard der Königin sich nicht bescheiden mochte mit dem Amt, das sie ihm gab. Bedauerlich, dass es meinem jüngeren Bruder nicht gelungen ist, ihn von seinem verwerflichen Tun abzubringen. Galen wollte hoch steigen und ist tief gefallen. Mein Bruder wäre gut beraten, sich sein Schicksal zur Warnung dienen zu lassen. Und, August, sorge dafür, dass ihr unbelauscht seid, wenn du ihm meine Botschaft übermittelst.
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