Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
der man den Leich nam ihres ertrunkenen Kindes brachte. Endlich mit dem Schlimmsten konfrontiert zu sein, ihm mutig ins Ge sicht zu sehen und sagen: »Ich kenne dich. Du hast mich verwundet, fast auf den Tod, aber ich lebe. Und ich werde weiterleben.« Das war die Stimmung, die bei den Leuten in der Küche vorherrschte. Alle hatten endlich die Schwere der Wunden akzeptiert, die uns von den Roten Korsaren geschlagen worden waren. Jetzt hatte man das Gefühl, dass die Heilung einsetzte und dass wir stark genug zur Gegenwehr waren.
Ich wollte dem Gesinde keinen Anlass zu neuen Tuscheleien
geben, indem ich herumfragte, wo die Königin sein könnte. Dann hatte ich das Glück, dass einer der Stallburschen begann, über Federleicht zu reden. Denn etwas von dem Blut, das ich gestern an der Stute gesehen hatte, war ihr eigenes gewesen, und die Jungen erzählten, wie sie nach Bur rich geschnappt hatte, als er sie verarzten wollte, so dass drei Mann nötig gewesen waren, um ihren Kopf zu halten. Ich mischte mich in das Gespräch ein: »Vielleicht wäre ein ruhigeres Tier besser als Reitpferd für unsere Königin geeignet«, meinte ich.
»Nein, nein. Unsere Königin mag Federleichts Stolz und Feuer. Das hat sie heute früh im Stall selbst zu mir gesagt. Sie kam, um nach dem Pferd zu sehen und zu fragen, ob man es schon wieder reiten könne. Mir war ein bisschen komisch, weil es doch die Königin war, die mit mir redete, aber ich antwortete, kein Pferd möchte an einem Tag wie diesem geritten werden, erst recht nicht mit einer verletzten Schulter. Und Königin Kettricken nickte, und wir standen da und unterhielten uns, und sie fragte mich, wie ich meinen Zahn verloren hätte.«
Der andere Stallbursche meinte: »Und du hast ihr erzählt, ein Pferd hätte beim Arbeiten den Kopf hochgeworfen und dich am Kinn getroffen! Dieselbe Geschichte, die du Burrich aufgetischt hast, weil er nicht wissen sollte, dass wir oben auf dem Heuboden gerauft haben und du in die Box von dem grauen Fohlen gefallen bist!«
»Halt den Mund! Du hast mich gestoßen, also bist du ge nauso schuld wie ich!«
Und schon fingen sie wieder an sich zu kabbeln, schubsten und knufften sich gegenseitig, bis das laute Geschimpfe der Köchin sie aus der Küche scheuchte. Doch ich hatte erfahren, was ich wissen wollte, und machte mich auf den Weg zu den Ställen.
Es war noch kälter und scheußlicher, als ein Blick aus dem Fenster
vermuten ließ. Selbst im Stallgebäude pfiff der Wind durch alle Ritzen, und jedes Mal, wenn eine Tür geöffnet wurde, fegte ein Schwall eiskalter Luft herein. Die Pferde stießen den Atem in weißen Wolken aus den Nüstern, und die Stallgefährten rückten wärmesuchend dicht zusammen. Ich sah Flink und fragte ihn, wo Burrich sei.
»Holz hacken«, antwortete er bedrückt. »Für ei nen Scheiterhaufen. Und er trinkt schon seit heute Morgen.«
Fast hätte ich mein Vorhaben vergessen. Soweit ich zurückdenken konnte, war das noch nie vorgekommen. Sicher, Burrich trank, aber erst an den Abenden, wenn alle Arbeit getan war. Flink sah mir an, was ich dachte.
»Hexe. Seine alte Hündin. Sie ist letzte Nacht gestorben. Aber ich habe noch nie von ei nem Scheiterhaufen für einen Hund gehört. Er ist jetzt hinter dem Reitplatz.«
Ich wandte mich zum Hinterausgang.
»Fitz!«, versuchte Flink mich zu warnen.
»Keine Sorge. Ich weiß, was sie ihm bedeutet hat. In der ersten Nacht, nachdem ich in sei ne Obhut gekommen war, brachte er mich in der Box unter, in der sie ihr Lager hatte, und befahl ihr, auf mich aufzupassen. Sie hatte einen Welpen, Nosy …«
Flink schüttelte den Kopf. »Er hat ge sagt, er will in Ruhe ge lassen werden. Er will nie manden sehen und mit nie mandem sprechen. So einen Befehl hat er mir noch nie gegeben.«
»Schon gut.« Ich seufzte.
Flink schob missbilligend die Unterlippe hoch. »So alt wie sie war, hätte er da mit rechnen müssen. Sie taug te auch nicht mehr für die Jagd. Er hätte sie längst durch einen jungen Hund ersetzen sollen.«
Ich sah ihn an. Trotz all seiner Sorge für die ihm anvertrauten Tiere, trotz seiner Sanftmut und seines Einfühlungsvermögens,
blieb ihm das letzte Verständnis versagt. Ganz zu Anfang hatte ich mit Bestürzung festgestellt, dass mein sechster Sinn, die alte Macht, etwas Außergewöhnliches war, das mich von anderen Menschen unterschied. Jetzt bei Flink das absolute Fehlen dieses Gespürs zu erleben, das bedeutete, seine innere Blindheit zu entdecken. Ich schüttelte nur den
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