Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Kopf und zwang mich, wieder an mein eigentliches Anliegen zu den ken. »Flink, hast du die Königin gesehen?«
»Ja, aber das ist schon länger her.« Er sah mich besorgt an. »Sie kam zu mir und wollte wissen, ob Prinz Veritas Treu geholt hatte, um in die Stadt hinunterzureiten. Ich antwortete, der Prinz sei hier gewesen, um nach ihm zu sehen, doch weggeritten sei er mit ihm nicht. Das Kopfsteinpflaster auf den Straßen ist mit Eis überzogen, und der Prinz würde bei seinem Liebling keine Verletzungen riskieren. Er geht fast immer zu Fuß nach Burgstadt hinunter, obwohl er jeden Tag erst einen Rundgang durch die Stallungen unternimmt. Er sagte zu mir, es wäre eine Gelegenheit, sich Bewegung zu verschaffen und draußen an der frischen Luft zu sein.«
Mir wurde ganz anders. Mir einer Gewissheit, als hätte ich es vor mir gesehen, wusste ich, dass Kettricken Veritas nach Burgstadt gefolgt war. Zu Fuß? Ohne Begleitung? An einem Tag wie diesem? Während Flink sich selbst mit Vorwürfen überhäufte, weil er die Absicht seiner Königin nicht vorhergesehen hatte, holte ich Querkopf, ein zutreffend benanntes, aber trittsicheres Maultier, aus seinem Verschlag. Ich wollte keine Zeit damit vergeuden, erst noch einmal in mein Zim mer zurückzugehen, um mir wärmere Kleidung anzuziehen, deshalb warf ich den von Flink geborgten Umhang über meinen eigenen und zerrte mein widerstrebendes Reittier hinaus in Wind und Schneegestöber.
Kommst du jetzt?
Noch nicht, aber bald. Erst muss ich mich um etwas kümmern.
Kann ich mitkommen?
Nein, es wäre zu gefährlich. Nun sei still und lass mich in Ruhe.
Am Tor machte ich halt, um die Wächter auszufragen. Ja, heute Vormittag war eine Frau zu Fuß hier vorbeigekommen. Mehrere sogar, die zum Broterwerb ja bei jedem Wetter hinausmussten. Die Königin? Die Wachposten wechselten Blicke. Keiner gab Antwort. Ich half ihnen auf die Sprünge. Eine Frau in einem dicken Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen? Eine mit weißem Pelz verbrämte Kapuze? Ein junger Soldat nickte. Der Um hang bestickt? Am Saum in Weiß und Purpur? Sie machten betretene Gesichter. Eine solche Frau hatten sie gesehen. Sie hatten nicht gewusst, um wen es sich handelte, aber jetzt, wo ich es sagte …
Mit kalter, ausdrucksloser Stimme beschimpfte ich sie als Idioten und Schwach köpfe. Ohne sich auszuweisen, durften fremde Personen unsere Tore passieren? Sie hatten weißen Pelz und purpurne Stickerei vor Augen gehabt und nicht einmal geahnt, dass es die Königin sein könnte? Und keiner hatte sich bemüßigt gefühlt, sie zu begleiten? Für ihre Si cherheit zu sorgen? Nicht einmal nach dem, was gestern vorgefallen war? Ein feiner Ort war Bocksburg neuerdings, wenn unsere Königin nicht einmal einen gewöhnlichen Soldaten als Beschützer bei sich hatte, wenn sie zu Fuß hinunter nach Burgstadt ging. Ich stieß Querkopf die Fersen in den Leib und konnte, kaum dass ich ihnen den Rü cken gekehrt hatte, ihre gegenseitigen Schuldzuschreibungen hören.
Es war ein schlech tes Vorankommen. Der lau nische Wind änderte unfehlbar die Richtung, sobald ich ihm mit Kra gen und Kapuze Paroli zu bieten versuchte. Außerdem wirbelte er den pulvrigen Schnee vom Boden auf und blies ihn mir unter den Umhang. Unter der weißen Schneedecke war der holprige Weg zur Stadt hinunter mit einer tückischen Eisschicht überzogen. Querkopf war
alles andere als glück lich, doch er setz te Fuß vor Fuß und trottete vor sich hin. Ich blinzelte die körnigen Flocken von meinen Wimpern und versuchte, ihn zu einer schnelleren Gangart zu ermuntern. Schreckensbilder von einer leblos am Wegesrand liegenden Königin, über die sich langsam eine Schneedecke legte, drängten sich mir auf. Unsinn, rief ich mich zur Ordnung. Unsinn.
Erst am Rand von Burgstadt holte ich sie ein. Ich hätte sie in jedem Fall erkannt, auch ohne den Um hang in ih ren Farben, allein daran, wie sie aufrecht und frei durch das Schneetreiben schritt. In den Bergen geboren und aufgewachsen, war sie gegen die Kälte immun wie ich gegen Salzluft und Feuchtigkeit. »Majestät! Hoheit! Wartet auf mich!«
Sie drehte sich um, und als sie mich erkannte, blieb sie lächelnd stehen. Bei ihr angelangt, rutschte ich von Querkopfs Rücken. Ich hatte nicht gemerkt, wie groß meine Sorge gewesen war, doch jetzt war ich ganz und gar erleichtert. »Was tut Ihr denn so ganz allein hier draußen, und das bei die sem Wetter?«, verlangte ich von ihr zu wissen und fügte verspätet hinzu:
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