Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Richtung gedacht. Sieh nicht das in mir. Ich werde dir sein, was du mir bist. Bruder. Aber ich bin nicht alles, was du jemals brauchen wirst. Er kaute weiter an sei nem Knochen, und ich kaute an dem, was er mir zu denken gegeben hatte.
Schlaf gut, Bruder, verabschiedete ich mich, als ich ging.
Er schnaufte. Schlafen? Kaum. Vielleicht bricht noch der Mond durch die Wolken und spendet mir Licht für die Jagd. Doch wenn nicht, dann werde ich schlafen.
Ich nickte und überließ ihn seinen Knochen. Auf dem Rückweg
zur Burg fühlte ich mich weniger bedrückt und einsam als vorher, doch gleichzeitig bereitete es mir Gewissensbisse, dass Nachtauge sein Leben und seinen Willen so weitgehend dem meinen anpasste. Es erschien mir nicht richtig, dass er für mich Ent fremdete aufspürte.
Für das Rudel. Es ist zum Nutzen des Rudels. Die Besinnungslosen versuchen, in unser Revier einzudringen. Wir dürfen es nicht zulassen. Er schien mit sich und seinem Tun im Reinen zu sein und erstaunt, dass ich mir deswegen Gedanken machte. Wie zur Bestätigung seiner Gedanken nickte ich im Dun keln uns beiden zu, dann trat ich durch die Küchentür wieder in das Licht und die Wärme der Menschenwelt.
Während ich die Trep pen zu mei nem Zimmer hinaufstieg, überdachte ich, was ich in den letzten paar Tagen zustande gebracht hatte. Ich hatte beschlossen, den Wel pen in die Frei heit zu ent lassen. Stattdessen waren wir Brüder geworden. Es tat mir nicht leid. Ich war zu Ve ritas gegangen, um ihn vor neuen Entfremdeten in der Nähe von Bocksburg zu warnen. Stattdessen erfuhr ich, dass er bereits darüber Bescheid wusste, und erhielt den Auftrag, Wissen über die Uralten zusammenzutragen und nach Hinweisen auf weitere Gabenkundige zu suchen. Ich hatte ihn gebeten, Kettricken den Garten zu geben, damit sie eine Be schäftigung hatte, die sie von ihrem Kummer ab lenkte. Stattdessen hatte ich sie getäuscht und in ihrer Liebe zu Ve ritas bestärkt. Auf einem Treppenabsatz blieb ich ste hen, um Luft zu schöp fen. Vielleicht, überlegte ich, tanzten wir alle nach der Pfei fe des Narren. War es nicht so gewesen, als hätte er einiges davon schon vorher gewusst?
Ich fühlte nach dem Messingschlüssel in meiner Tasche. Diese Zeit war so gut wie jede an dere. Ve ritas war nicht in sei nem Schlafgemach, gleichwohl traf ich Charim dort an. Er hatte keine Bedenken, mich einzulassen und mir zu erlauben, den Schlüssel zu
benutzen. Es waren mehr Schriftrollen, als ich erwartet hatte. Ich nahm einen Armvoll mit, trug sie in mein Zimmer und legte sie auf meine Kleidertruhe. Nachdem ich Feuer gemacht hatte, warf ich einen Blick auf den Verband an meinem Hals. Es war nur noch ein hässlicher, blutgetränkter Batzen Stoff, und ich hätte ihn wechseln sollen, aber mir graute davor, ihn loszureißen. Das hatte Zeit. Ich legte Holz nach, setzte mich vor dem Kamin auf den Boden und stöberte in den Schrift rollen mit ih ren spinnenbeinigen kleinen Schriftzeichen und verblassten Illuminationen. Dann hob ich den Blick und ließ ihn durch das Zimmer wandern.
Ein Bett. Eine Truhe. Ein kleiner Tisch neben dem Bett. Eine Schüssel und eine Kan ne zum Waschen. Ein ausgesprochen hässlicher Wandteppich von König Wohlgesinnt im Gespräch mit einem Uralten. Ein Kerzenleuchter auf dem Kaminsims. In all den Jahren, die ich hier wohnte, hatte sich kaum etwas verändert. Es war ein karger und trister Raum, der ohne jegliche Phantasie eingerichtet war. Plötzlich kam ich mir eben falls karg, trist und phantasielos vor. Ich stand auf Ab ruf, um zu jagen und zu töten. Und ich gehorchte. Mehr Hund als Mensch. Und dabei war ich nicht einmal ein Lieb lingshund, der gestreichelt und ge lobt wurde. Nur einer aus der Meute. Wann hatte ich zuletzt von Listenreich gehört? Oder von Chade? Selbst der Narr verspottete mich. Was stellte ich für meine Umgebung dar, außer dass ich ein Werkzeug war? Gab es noch jemanden, der um meiner selbst willen an mir Interesse hatte? Plötzlich konnte ich meine eigene Gesellschaft nicht mehr ertragen. Ich legte die halb ge lesene Schriftrolle hin und verließ das Zimmer.
Als ich an die Tür von Phi lias Gemächern klopfte, blieb erst alles still, dann hörte ich Laceys Stimme fragen: »Wer ist da?«
»Nur FitzChivalric.«
»FitzChivalric!« Der Tonfall verriet Überraschung. Es war spät
für einen Besuch von mir, gewöhnlich pflegte ich tagsüber zu kommen. Doch es tröstete mich zu hören, wie ein Riegel zurückgeschoben und ein Schlüssel im
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