Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
auf Unverständnis stieß. Schließlich überließ ich ihn seinen Kaninchen. Er schien es mir übelzunehmen, dass ich von dem Fleisch nichts abhaben wollte. Der Kompromiss, auf den wir uns hatten einigen können, sah so aus, dass ich mir bei mei nen Treffen mit Molly seiner Anwesenheit nicht bewusst sein wollte. Nicht unbedingt das, was ich mir erhofft hätte, doch weiter reichte sein Verständnis nicht. Dass ich hin und wieder das Bedürfnis haben könnte, meine Bindung zu ihm vollständig zu unterbrechen, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Es ergab keinen Sinn, argumentierte er. Es widersprach dem Prinzip der Rudelgemeinschaft. Als ich ihn verließ, fragte ich mich, ob ich je wieder einen Augenblick ganz und gar für mich allein haben würde. Ich kehrte zur Burg zurück und ging sogleich auf mein Zimmer. We nigstens für eine kurze Atempause sehnte ich mich nach einem Ort, wo ich die Tür hinter mir zumachen und ungestört sein konnte. Rein äußerlich zumindest. Wie um mei nen Wunsch nach Ruhe und Frieden zu verstärken, wimmelte es in den Fluren und auf den Treppen von geschäftigen Menschen. Diener fegten alte Binsen zusammen und streuten frische aus, neue Kerzen wurden aufgesteckt und überall Girlanden und Sträuße aus immergrünen Zweigen aufgehängt. Das Winterfest nahte. Doch meine Stimmung war nicht danach.
Endlich hatte ich mein Zim mer erreicht, schlüpfte hinein und drückte die Tür hinter mir zu.
»Schon wieder zurück?« Der Narr blickte zu mir auf. Er saß vor dem Kamin in ei nem Halbkreis von Schrift rollen, die er nach bestimmten Gesichtspunkten zu sortieren schien.
Erst starrte ich ihn wort los an, dann musste ich mei nem Ärger Luft machen. »Warum hast du mir nie gesagt, wie schlecht es um die Gesundheit des Königs bestellt ist?«
Er betrachtete nachdenklich eine weitere Schriftrolle und legte
sie schließlich auf ei nen Stapel zu seiner Rechten. »Aber das habe ich. Gegenfrage: Warum hast du nicht längst davon gewusst?«
Das versetzte mir ei nen Stich. »Ich gebe zu, ich habe ihn in letzter Zeit nicht mehr regelmäßig besucht, aber …«
»Kein Wort von mir hätte den gleichen Eindruck gemacht wie der eigene Augenschein. Und ist dir einmal der Gedanke gekommen, wie es dort ausgesehen hätte, wenn ich nicht jeden Tag da gewesen wäre, um Nachttöpfe auszuleeren, zu fegen, Staub zu wischen, Geschirr hinauszutragen, ihm Haar und Bart zu kämmen …«
Wieder hatte er mir den Wind aus den Segeln genommen. Ich ließ mich schwer auf mei ne Kleidertruhe fallen. »Er ist nicht mehr der König, an den ich mich erinnere«, sagte ich kläg lich. »Es macht mir Angst, wie schnell und wie weit sein Verfall fortgeschritten ist.«
»Macht dir Angst? Es ist einfach entsetzlich! Wenigstens hast du einen anderen König, wenn dieser hier ausgespielt ist.« Der Narr warf eine weitere Rolle auf den Stapel.
»Wir alle haben dann einen neuen König.«
»Manche mehr, manche weniger.«
Unwillkürlich griff ich an meinen Kragen und tastete nach der Nadel. Um ein Haar hätte ich sie heute verloren. Ich musste daran denken, was sie während all dieser Jahre symbolisiert hatte. Den Schutz des Königs für einen illegitimen Enkelsohn, den ein Mann mit weniger Skrupeln unauffällig aus dem Weg ge räumt hätte. Und nun, da er des Schutzes bedurfte? Was bedeutete sie mir nun?
»Was sollen wir tun?«
»Du und ich? Herzlich wenig. Ich bin nur ein Narr, und du bist ein Bastard.«
Ich nickte bedrückt. »Chade müsste hier sein. Wenn ich nur wüsste, wann er zurückkommt.« Aus den Augenwinkeln beobachtete ich den Narren. Ob er es wusste?
»Chade? Schade ist, dass es für unseren König wahrscheinlich zu spät sein wird.«
»Dann sind wir machtlos?«
»Du und ich? Niemals. Wir haben zu viel Macht, um handeln zu können, das ist alles. In sol chen Fällen sind im mer die Machtlosen am mächtigsten. Vielleicht hast du Recht, sie sind es, an die wir uns um Rat wenden sollten. Vorerst aber …« Da mit erhob er sich und schüttelte theatralisch die Glieder, als wäre er eine Marionette an verworrenen Schnüren. Sämtliche Schellen an seinem Gewand klingelten. Ich musste unwillkürlich lächeln. »Für meinen König bricht nun die beste Zeit des Tages an. Und ich werde zur Stelle sein, um für ihn zu tun, was ich tun kann.«
Er trat vorsichtig aus dem Kreis der wohl sortierten Schriftrollen und -tafeln. »Lebwohl, Fitz.«
»Lebwohl.«
An der Tür zögerte er kurz. »Du hast nichts dagegen, dass ich
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