Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
gehe?«
»Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich anfangs Einwände dagegen, dass du bleibst.«
»Lass dich nicht auf Wortgefechte mit einem Narren ein. Aber hast du vergessen? Ich habe dir einen Tauschhandel angeboten. Ein Geheimnis gegen ein anderes Geheimnis.«
Ich hatte es nicht vergessen, aber plötzlich war ich nicht mehr so sicher, ob ich davon wirklich etwas wissen wollte. »Woher kommt der Narr und warum?«, fragte ich leise.
»Ah.« Er wartete einen Moment, dann fragte er ernst: »Bist du sicher, dass du die Antworten auf diese Fragen hören willst?«
»Woher kommt der Narr und warum?«, wiederholte ich sanft. Er ließ sich Zeit mit der Erwiderung. Während ich ihn wartend anschaute, sah ich ihn zum ersten Mal seit langem nicht als den scharfzüngigen und schlagfertig witzigen Narren, sondern als
kleines, schmales Geschöpf, das unter seiner bleichen Haut kaum Fleisch und Knochen hatte. Selbst sein Haar schien weniger Substanz zu ha ben als das von anderen Sterblichen. Sein mit silbernen Schellen besetztes schwarz-weißes Narrengewand und sein al bernes Rattenzepter waren alles, was ihm zu Gebote stand, um sich an diesem Hof der Int rigen und des Verrats zu behaupten. Und sein Geheimnis. Der unsichtbare Schutzmantel seines Geheimnisses. Einen Augenblick lang wünschte ich mir, er hätte den Tausch nicht angeboten oder dass ich mich weniger vor Neugier verzehrte.
Er seufzte, ließ den Blick durchs Zim mer schweifen und stellte sich dann vor den Wandteppich, auf dem König Weise einen der Uralten begrüßte. Offenbar entdeckte er in der dargestellten Szene eine Ironie, die sich mir in all den Jahren nicht erschlossen hatte, denn ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. Vor der Kulisse des Wandbehangs wandte er sich mir wieder zu und nahm die Pose eines Dichters ein, der sich anschickt, aus seinen Werken zu rezitieren. Doch zunächst sah er mich noch ein mal forschend an. »Du bist sicher, dass du es wissen willst, Firlefitz?«
Als wäre es eine Beschwörungsformel, wiederholte ich die Frage: »Woher kommt der Narr und warum?«
»Woher? Ja, woher?« Nase an Nase ging er mit Rätzel zu Rate und formulierte in Gedanken die Antwort auf seine eigene Frage. »Geh südwärts, Fitz. Zu Ländern jenseits der Ränder aller Karten, die Veritas jemals gesehen hat. Und dann über die Ränder der Karten hinaus, die in jenen Ländern gezeichnet werden. Geh südwärts und dann in Richtung Osten, über ein Meer, dessen Namen du nicht kennst. Endlich gelangst du zu ei ner langgestreckten Halbinsel, und an ihrer eingeschlängelten Spitze könntest du das Dorf finden, in dem ein Narr geboren wurde. Du fändest vielleicht sogar eine Mutter, die sich an ih ren wurmweißen Säugling erinnert und wie sie ihn an ih rer warmen Brust wiegte und sang.«
Er bemerkte meinen ungläubigen, faszinierten Gesichtsausdruck und lachte kurz auf. »Du kannst es dir nicht vorstellen, oder? Ich will es dir noch schwerer machen. Ihr Haar war lang und dun kel und lockig, und ihre Augen waren grün. Phantastisch, nicht wahr? Aus solchem Farbreichtum ging diese Bleichheit hervor. Und die Väter des farblosen Kindes? Es waren zwei Vettern, denn das war der Brauch in je nem Land. Ei ner war untersetzt und dun kelhaarig und immer zu einem Scherz aufgelegt. Er hatte rote Lippen und braune Augen und es war ein Bauer, der nach satter Erde und frischer Luft roch. Der andere dagegen war schmal und trug goldene Haare, ein Dichter und Sänger, der blaue Augen hatte. Und oh, wie sie mich alle liebten und ihre Freude an mir hatten! Diese drei und das ganze Dorf obendrein. Ich wurde so ge liebt.« Seine Stimme war immer leiser geworden, bis er verstummte. Ich wusste mit absoluter Si cherheit, dass ich mit anhörte, was noch keiner vor mir aus seinem Mund vernommen hatte. Ich erinnerte mich an sein Zimmer, die zierliche kleine Puppe in ih rer Wiege, die ich dort gefunden hatte … Ge liebt, behütet, wie der Narr einst ge liebt und behütet worden war. Ich wartete.
»Sobald ich - alt genug war, sagte ich ihnen allen Lebwohl. Ich zog aus, um mei nen Platz in der Geschichte zu finden und zu wählen, wo ich ih ren Lauf verändern wollte. Dies war der Ort, für den ich mich entschied, die Zeit war mir bestimmt durch die Stunde meiner Geburt. Ich kam her und wurde des Königs Narr. Ich nahm die Fäden auf, die das Schicksal mir in die Hände legte, und begann sie nach meinem ganzen Vermögen zu verknüpfen und zu färben, in der Hoff nung, das zu
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