Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Sicht, nur bei schlechtem Wetter gab es Atem pausen. Wir kannten nicht ein mal die genaue Anzahl der Roten Schiffe, die uns heimsuchten, denn sie sahen alle gleich aus, wie Erbsen in ei ner Schote. Oder wie Blutstropfen im Sand.
    In jenem Sommer während meiner Zeit am Ruder der Rurisk hatten wir noch eine Be gegnung mit ei nem Roten Schiff, die es wert ist, erzählt zu werden. Es war ein gespenstisches Erlebnis. In einer klaren Sommernacht waren wir von unseren Pritschen gejagt und zum Schiff in Marsch gesetzt worden. Veritas hatte hinter dem Bockskap ein Schiff der Korsaren entdeckt. Er wollte, dass wir ihn im Dunkeln überholten.
    Justin stand am Bug und war durch die Gabe mit Serene in Veritas’ Turm verbunden. Veritas war wie ein wortloses Raunen in
meinem Kopf, als er uns durch die Nacht zu dem Schiff lots te, das er mit der Gabe wahrgenommen hatte. Das Schiff und noch etwas anderes? Ich konnte ihn füh len, wie er mit sei nen Sinnen zu dem Schiff der Korsaren hinausgriff, sich dann aber wie ein Mann weiterbewegte, der sich im Dunkeln durch unbekannte Räume tastet. Ich spürte sein Un behagen. Wir durften auf dem Schiff nicht sprechen, und unsere Ruderblätter waren mit Lappen umwickelt, als wir uns der vermuteten Position näherten. Nachtauge flüsterte mir zu, er kön ne sie wittern, und dann sichteten wir den Feind - ein langgestreckter, niedriger Schatten, der vor uns ru hig durchs Wasser glitt. Plötz lich ertönte von dort ein Schrei - man hatte uns entdeckt. Wir legten uns schnell in die Riemen, doch aus dem Nichts überfiel mich plötzlich eine unsägliche Angst. Mein Herz schlug wie ein Hammer, meine Hände begannen zu zittern. Das Grauen, das mich durchflutete, war eines Kindes namenlose Furcht vor den Kreaturen der Dunkelheit, eine hilflose Furcht. Ich umklammerte das Ruder, doch meinen Armen fehlte die Kraft, es zu bewegen.
    »Korrikska«, hörte ich ei nen Mann stöh nen, dem breiten Akzent nach ein Outislander. Nonge vielleicht. Mir wurde bewusst, dass ich nicht als Einziger von diesem Schrecken ergriffen war. Einige von uns saßen zusammengesunken auf ihren Seekisten, während andere wie besessen ruderten, ohne jedoch einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Wir schlingerten über die glatte Oberfläche wie ein Wasserläufer mit nur fünf Bei nen, während das Rote Schiff zielstrebig auf uns zukam. Ich hob den Blick und sah meinem Tod entgegen. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich das Schrei en der von Pa nik ergriffenen Männer und Frauen um mich herum nicht hörte. Ich konnte nicht einmal atmen. Mein Blick ging zum Himmel. Hinter dem Roten Schiff lag wie dessen widernatürlicher Schatten und dreimal so groß ein weißes Schiff. Geister oder Entfremdete schritten über sein Deck. Ich
spürte kein Leben von ihnen, und doch waren sie eifrig damit beschäftigt, ein kleines Beiboot zu Wasser zu lassen. Auf dem Achterdeck stand ein Mann. Sobald ich ihn erblickt hatte, konnte ich den Blick nicht mehr von ihm losreißen.
    Er war in Grau gekleidet, doch ich sah ihn vor dem dunk len Hintergrund so deutlich, als würde er von einer Laterne angestrahlt. Ich schwöre, ich konnte seine Augen sehen, den scharfen Grat seiner Nase, den dunklen, lockigen Bart, der seinen Mund umrahmte. Er lachte mir zu. »Hier ist einer zu uns gekommen!«, rief er einem Unsichtbaren zu und hob eine Hand. Sein ausgestreckter Zeigefinger deutete auf mich, und er lachte wieder, und ich fühlte, wie sich mir das Herz in der Brust zu sammenkrampfte. Es war, als blickte er nur mich an, als hätte er nur mich allein von unserer gesamten Mannschaft zum Opfer auserwählt. Und ich schaute ihn an, ja, meine Augen sahen ihn, aber ich konnte ihn nicht spüren. Dort! Dort! schrie ich laut, oder vielleicht war es nur die Gabe, die das Wort wie ein Echo durch mei nen Schädel hallen ließ. Kei ne Antwort. Kein Ve ritas. Kein Nachtauge. Niemand. Nichts. Ich war allein. Die ganze Welt wurde zu einem Ort der Stille. Meine Gefährten, ihr Grauen, ihr Entsetzen - für mich nicht mehr vorhanden. Nichts war mehr vorhanden. Keine Möwe, kein Fisch im Meer, kein Leben irgendwo, so weit mei ne in neren Sinne reichten. Die verhüllte Gestalt auf dem weißen Schiff beugte sich weit über die Re ling, wies weiter mit dem an klagenden Finger auf mich und - lachte. Ich war allein, gefangen in der Einsamkeit, die über das mensch liche Vorstellungsvermögen hinausging, die sich als übermächtige Kraft über mich senkte, mich fesselte, lähmte,

Weitere Kostenlose Bücher