Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Sagen auf eine kurze Erwähnung des Phänomens. Dort war es ein Geisterschiff, auf dem die Seelen ertrunkener Seeleute, die das Meer nicht haben wollte, bis in alle Ewig keit unter einem unbarmherzigen Kapitän ihre Sünden abbüßen mussten. Es wurde mir aber klar, dass ich besser nicht mehr davon sprach, wenn ich nicht für verrückt gehalten werden wollte.
Während der restlichen Sommermonate wichen die feindlichen Schiffe der Rurisk aus. Wenn wir eines sichteten, nahmen wir die Verfolgung auf, doch ge lang es uns nicht noch ein mal, ein feindliches Schiff aufzubringen. Einmal traf es sich, dass wir ei nem der Korsarenschiffe nachsetzen konnten, das gerade einen Raubzug begangen hatte. Er warf sei ne Gefangenen als Ballast über Bord und floh. Von zwölf Personen retteten wir neun aus dem Wasser und brachten sie unversehrt in ihr Dorf zurück. Die drei, die ertranken, bevor wir sie er reichen konnten, wurden betrauert, doch alle waren der Mei nung, ein sol ches Schicksal sei der Ent fremdung vorzuziehen.
Den anderen Schiffen erging es im Großen und Ganzen ebenso wie uns. Die Constance überraschte Piraten, die gerade ein Dorf brandschatzen wollten. Die Unseren errangen keinen schnellen Sieg, waren aber so klug, das am Ufer liegende Rote Schiff leckzuschlagen, so dass den Piraten die Möglichkeit zur Flucht genommen war. Es nahm Tage in An spruch, sie aufzuspüren und
zu töten, denn als sie sahen, was mit ihrem Schiff geschehen, war, hatten sie sich in den Wäldern versteckt und verteilt. So ging es weiter. Wir verfolgten feindliche Schiffe, störten die Korsaren bei Überfällen, doch wir hatten nicht das Glück, unsere kleine Flotte auf Kosten des Gegners noch weiter zu vergrößern.
Als Erfolg konnten wir uns zuschreiben, dass es weniger Entfremdungen gab. Doch trotz allem schien die Anzahl derer, die unsere Küsten unsicher machten, nicht geringer zu werden. In einer Hinsicht brachten wir der Bevölkerung der Sechs Provinzen Hoffnung. In anderer Hinsicht schürten wir ihre Verzweiflung, denn was wir auch taten, es ge lang uns nicht, der Bedrohung ein für alle Mal ein Ende zu machen.
Für mich war der lange Sommer zugleich eine Zeit quälender Isolation als auch unglaublicher Nähe. Veritas war oft bei mir, doch es stellte sich heraus, dass es mir nicht gelang, während einer bewaffneten Konfrontation den Kontakt mit ihm aufrecht zu erhalten. Allerdings bekam er einen Eindruck von dem Abgrund der Gefühle, der mich jedes Mal zu überwältigen drohte, wenn unsere Besatzung in ei nen Kampf verwickelt wurde. Seine Vermutung ging dahin, dass ich, um mich vor den Gedanken und Gefühlen anderer zu schützen, so feste Mauern um mein Bewusstsein errichtete, dass nicht einmal er sie zu durchbrechen vermochte. Daraus glaubte er folgern zu kön nen, ich sei wirk lich stark in der Gabe, stärker noch als er, aber dermaßen sensitiv, dass ich in Situationen übersteigerter Gefühlsüberwallung gezwungen war, mich abzuschirmen, um nicht von ei ner Sturmflut mitgerissen zu werden. Eine interessante Theorie, allerdings ohne jeden praktischen Nutzen. Dennoch, in den Tagen, an de nen ich Ve ritas mit mir herumtrug, entwickelte ich ein Ge fühl für ihn wie für kei nen anderen Mann außer vielleicht Burrich. So wusste ich zum Beispiel erschreckend genau, wie der Gabenhunger an ihm nagte.
Als Kinder waren Kerry und ich ein mal auf ei nen steilen Küstenfelsen hinaufgeklettert. Als wir oben an kamen und über die Kante spähten, gestand er mir ein fast übermächtiges Verlangen, sich in die Tiefe zu stürzen. Ich denke, das ist ein treffender Vergleich zu Veritas’ Empfindungen. Die Lust der Gabe zog ihn in ihren Bann und lockte ihn, sich ihr ganz und gar zu ergeben. Seine enge Verbindung mit mir gab die sem Verlangen noch zusätzliche Nahrung. Und doch war der Nutzen seiner Gabenkunst für die Sechs Provinzen zu groß, als dass er sie hätte aufgeben können, selbst wenn ihn die Gabe auf Dauer aushöhlte. Gezwungenermaßen teilte ich vie le der Stunden an dem einsamen Turm fenster mit ihm, den harten Stuhl, auf dem er saß, die Mattigkeit, die ihm den Appetit raubte, sogar die müden Knochen vom langen Stillsitzen bekam ich mit zu spüren. Ich erlebte mit, im wahrsten Sin ne des Wortes, wie er nach und nach aufgezehrt wurde.
Ich weiß nicht, ob es gut ist, je manden so ge nau zu ken nen. Nachtauge war darauf eifersüchtig und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. Wenigstens war es bei ihm ein unverhohlener Ärger,
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