Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Bänkelsänger trug ein weitschweifiges Machwerk vor, das irgendeine Heldentat von Edels Großvater mütterlicherseits verherrlichte. Ich hörte kaum hin. Es schien sich darum zu handeln, dass ein gutes Pferd da für zuschanden geritten wurde, um sich rühmen zu können, einen kapitalen Hirsch erlegt zu haben, der ei ner ganzen Generation von Waid männern immer wieder durch die Finger geschlüpft war. Endlos wurde das edle Ross gepriesen, das sich sei nem Herrn zu liebe bis zum Tod verausgabt hatte. Unerwähnt blieb die haarsträubende Dummheit des Herrn, der ein solches Tier einfach für einen zähen Braten und ein dürres Geweih opferte.
»Du siehst elend aus«, bemerkte Burrich im Vorbeigehen. Ich stand auf und begleitete ihn den Flur hinunter.
»Nur weil mir zu viel im Kopf he rumgeht und alles gleichzeitig beachtet sein will. Manchmal glaube ich, wenn ich mehr Zeit hätte, mich ausschließlich auf ein Problem zu konzentrieren, dann wäre ich imstande, zumindest ein Problem ganz zu lösen. Und mich dann anschließend der Reihe nach genauso den anderen Fragen widmen zu können.«
»Du bist nicht der Einzige, der das glaubt, aber es ist ein Irrtum. Ändere, was du ändern kannst und wie es gerade kommt, und nach einer Weile gewöhnst du dich an das, woran sich nichts ändern lässt.«
»Zum Beispiel?«
Er zuckte die Schultern und zeigte nach unten. »Ein lahmes Bein zu haben. Ein Bastard zu sein. Wir alle gewöhnen uns an Dinge, mit denen wir bis dahin glaubten, nicht leben zu können. Was für eine Laus ist dir diesmal über die Leber gelaufen?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls nicht hier.«
»Oh, noch mehr von der Sorte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich beneide dich nicht, Fitz. Manchmal hilft es schon, sich einem Mitmenschen gegenüber seine Sorgen und Nöte von der Seele reden zu können. Selbst das bleibt dir versagt. Aber lass den Kopf nicht hängen. Ich bin überzeugt, dass du mit allem fertig wirst, selbst wenn es dir jetzt als unwahrscheinlich erscheint.«
Er klopfte mir auf die Schulter und entschwand in ei nem Schwall kalter Luft, der mit dem Öffnen der Tür hereindrang. Veritas hatte Recht. Die Winterstürme waren im Anzug, allein schon nach dem Wind zu urteilen, der heute Abend hier um die Ecken pfiff. Ich war auf hal ber Treppe, als mir auffiel, dass Bur rich von Mann zu Mann mit mir gesprochen hatte. Er schien offenbar zu glauben, dass ich erwachsen geworden war. Na schön, vielleicht fiel
mir einiges leichter, wenn ich selbst auch daran glaubte. Ich straffte die Schultern.
Beim Ankleiden gab ich mir größere Mühe als seit langem und dachte dabei an Veritas, der für Kettricken hastig ein frisches Hemd übergezogen hatte. Wie hatte er so blind sein können? Und ich? Was tat Molly noch alles für unser Glück, ohne dass ich es ahnte? Ich fühlte mich niedergeschlagener denn je. Heu te Abend. Heute Abend, nachdem der Besuch bei Listenreich überstanden war. Ich konnte ihre Opfer nicht länger hinnehmen. Erst musste ich aber diese andere Hürde überwinden. Ich band mein Haar zu dem Kriegerzopf, den ich mir mittlerweile redlich verdient zu haben glaubte, und zog mein blaues Wams glatt. Es spannte ein wenig um die Schultern, aber das war inzwischen bei all meinen Kleidungsstücken der Fall. Schwe ren Herzens machte ich mich auf, dem Ruf meines Königs zu folgen.
Im Flur vor König Listenreichs Gemächern traf ich auf Veritas und Kettricken. Oder nein, sie erschienen mir hier als der Kronprinz mit seiner Königin. Veritas trug ein langes, offizielles Gewand in dunklem Grün; Ärmel und Saum waren mit einer Bordüre mit aufgestickten, stilisierten Rehböcken geschmückt. An seiner Stirn schimmerte das Abzeichen des designierten Thronfolgers, ein Silberreif mit blauem Stein. Ich hatte ihn lange nicht mehr damit gesehen. Kettricken war wie so oft in Purpur und Weiß gewandet. Das purpurne Überkleid war äußerst einfach geschnitten, die kurzen, weiten Ärmel ließen die längeren des weißen Untergewandes sehen. Sie hatte den Schmuck angelegt, der ihre Brautgabe gewesen war, und das aufgesteckte blonde Haar umspann ein silbernes Netz, besetzt mit Amethysten. Ihre beiden Gesichter waren ernst. Sie konnten nur die Absicht haben, um Audienz bei König Listenreich zu bitten.
Ich begrüßte das Thronfolgerpaar mit angemessener Ehrerbietung
und ließ Ve ritas wissen, dass König Listenreich mich zu sich befohlen hatte.
»Nein«, antwortete er milde. »Du bist auf meine Veranlassung
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