Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Listenreich ist … um die Gesundheit meines Vaters steht es nicht zum Besten. Ich habe Angst um ihn. In Bocks burg muss jemand sein, der die Regierungsgeschäfte übernimmt, sollte es zum Äußersten kommen.«
Sie schaute zur Seite. »Ich würde lieber mit Euch gehen.«
Ich wandte den Blick ab, als er ihr Kinn umfasste und sie mit
sanfter Gewalt zwang ihn anzusehen. »Ich weiß. Das ist das Opfer, welches dir abverlangt wird. Zu bleiben, wenn du lieber gehen würdest. Allein zu sein, wie bisher schon und viel zu lange. Zum Wohl der Sechs Provinzen.«
Etwas in ihrem Innern schien zu zerbrechen. Ihre Schultern sanken herab und sie neigte den Kopf. Als Veritas sie in seine Arme zog, stand ich leise auf und ging mit Rosemarie hinaus.
Später saß ich in meinem Zimmer über den Schriftrollen und -tafeln, deren Studium ich viel zu lange hinausgezögert hatte, als der Page wieder an meine Tür klopfte. »Ihr seid in des Königs Gemächer befohlen, in der Stunde nach der Abendmahlzeit«, lautete seine Botschaft. Mir wurde elend. Zwei Wochen waren seit meinem letzten Besuch vergangen, und ich hatte nicht schon wieder den Wunsch, dem König gegenüberzutreten. Wenn er mich zu sich rufen ließ, um mir zu be fehlen, ich solle um Zele ritas Hand anhalten, so wusste ich nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ich hatte Angst, die Beherrschung zu verlieren. Entschlossen breitete ich eine der Schriftrollen auf dem Tisch aus und versuchte, mich darin zu vertiefen, doch es zwar zweck los. Ich sah in Ge danken nur Molly.
In den kurzen Nachtstunden, die uns seit dem Tag am Strand vergönnt gewesen waren, hatte Molly kein weiteres Mal die Rede auf Zelerita gebracht. Im Grunde genommen war mir das eine Erleichterung, hätte sie nicht gleichzeitig aufgehört, mich mit all den Dingen zu necken, die sie von mir verlangen würde, wenn ich nach Recht und Brauch ihr Gemahl war, und damit, wie viel Kinder sie sich von mir wünschte. Ohne viel Auf hebens hatte sie die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft begraben. Wenn ich darüber nachdachte, brachte es mich schier um den Verstand. Sie machte mir keine Vorwürfe, da sie wusste, dass ich nicht Herr meines eigenen Schicksals war. Sie fragte nicht einmal nach, was denn nun
aus uns werden solle. Wie Nachtauge schien sie ausschließlich in der Gegenwart zu leben. Jeden Momente der Nähe, den wir teilten, nahm sie als einzigartig hin und frag te nicht, ob es weitere Augenblicke geben würde. Was ich von ihr spürte, war nicht Verzweiflung, sondern Selbstbeschränkung: eine feste Entschlossenheit, uns von dem missgünstigen Morgen nicht nehmen zu lassen, was uns das Heute bot. Ich hatte die Hingabe eines solch treuen Herzens nicht verdient.
Wenn ich schlum mernd neben ihr im Bett lag, warm und geborgen im Duft ihres Körpers und ihrer Kräuter, war es ganz allein ihre Kraft, die unsere Liebe beschützte. Sie verfügte nicht über die Gabe, sie besaß nicht die alte Macht. Dennoch war ihre Magie von einer stärkeren Art und wirk te allein durch ih ren Willen. Sobald sie nachts die Tür hinter uns verschlossen und verriegelt hatte, schuf sie in ihrer Kammer eine Welt und eine Zeit, die nur uns beiden gehörte. Hätte sie blind ihr Leben und ihr Glück in meine Hände gelegt - schon das wäre für mich unerträglich gewesen -, aber sie glaubte, irgendwann würde sie für ihr Festhalten an mir ei nen hohen Preis ent richten müssen. Den noch weigerte sie sich, von mir zu lassen. Und ich, ich selbst war nicht Manns ge nug, mich von ihr abzuwenden und ihr zu ermöglichen, sich ein glücklicheres Leben aufzubauen. In mei nen einsamsten Stunden, wenn ich die Straßen mit Satteltaschen voller vergiftetem Brot ent langritt, wusste ich, dass ich mich wie ein Feig ling und schlimmer als ein Dieb verhielt. Früher einmal hatte ich bei ei ner Gelegenheit zu Veritas gesagt, ich hielte es für unehrenhaft, einem anderen Menschen die Kraft zu rauben, um mich damit zu stärken, und ich würde es nicht tun. Aber war es nicht genau das, was ich nun Molly Tag für Tag zu mutete? Das Pergament entglitt meinen schlaffen Fingern. Die Luft in meinem Zimmer erschien mir plötzlich unerträglich stickig. Ich schob die Papiere zur Seite, die ich mir zum
Studium vorgenommen hatte, und machte mich noch vor dem Abendessen auf den Weg zu Philias Gemächern.
Es war einige Zeit her, seit ich sie das letzte Mal aufgesucht hatte, doch in ihrem Wohngemach schien sich nie etwas zu verändern, außer vielleicht der obersten Schicht
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