Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
ihres Sammelsuriums, an dem sich der neueste Stand ih rer Leidenschaften ablesen ließ. Bei diesem Besuch war es nicht anders. Ich fand dort die im Herbst gesammelten und zum Trock nen gebündelten Kräuter vor, die überall herumhingen und den Raum mit ih ren Düften erfüllten. Ich bewegte mich förmlich durch eine von oben he rabhängende Wiese und musste mich ducken, um dem baumelnden Grünzeug auszuweichen.
»Ihr habt sie ein wenig zu tief gehängt«, beschwerte ich mich bei Philia, als sie eintrat.
»Nein. Du hast es inzwischen fertiggebracht, ein wenig zu sehr in die Höhe zu schießen. Stell dich gerade hin und lass dich ansehen.«
Ich gehorchte stante pede, auch wenn das bedeutete, einen Büschel Katzenminze auf dem Kopf liegen zu haben.
»Nun ja. Den ganzen Sommer herumzurudern und Leute totzuschlagen scheint dir gut bekommen zu sein. Kein Vergleich mehr mit dem krän kelnden Jungen vom letzten Winter. Ich habe dir doch gesagt, diese Stärkungsmittel würden helfen. Da du nun schon einmal so gewachsen bist, kannst du dich auch nütz lich machen und mir dies hier aufhängen.«
Im Handumdrehen sah ich mich da mit beschäftigt, Leinen von Wandhaltern zu Bettpfosten und allen anderen feststehenden Gegenständen zu spannen, an denen man einen Bindfaden festmachen konnte. Ich stand auf einem Stuhl und hängte gebündeltes Springkraut auf, als sie mich fragte: »Weshalb jammerst du mir eigentlich nicht mehr vor, wie sehr du dich nach Molly sehnst?«
»Würde es denn helfen?« Geistesgegenwärtig bemühte ich mich um einen resignierten Tonfall.
»Nein.« Sie schwieg einen Moment und reichte mir noch ein raschelndes Pflanzenbündel. »Das«, erklärte sie mir, »ist Spitzblattkraut. Es ist sehr bitter. Angeblich soll es verhindern, dass eine Frau empfängt, aber das tut es nicht. Zumindest nicht zuverlässig. Und wenn eine Frau das Mittel zu lange einnimmt, kann sie davon krank werden.« Sie runzelte die Stirn. »Wenn eine Frau nicht gesund ist, wird sie mög licherweise weniger leicht emp fangen, aber ich würde niemandem raten, das Kraut zu diesem Zweck zu nehmen, erst recht nicht jemandem, den ich liebe.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt, und es fiel mir nicht leicht, wie beiläufig zu fragen: »Weshalb trocknet Ihr sie dann?«
»Ein Auszug davon tropfenweise ins Gurgelwasser gegeben, das soll bei Halsschmerzen helfen. Das weiß ich von Molly Chandler. Ich traf sie im Frauenhag, wo sie Spitzblattkraut gesammelt hat.«
»Ach so.« Ich hängte das Büschel an die Schnur, es pendelte da wie ein Ge henkter in der Schlinge. Sogar der Ge ruch war bitter. Hatte ich mich vorhin gewundert, wie Ve ritas so blind für etwas sein konnte, das doch so offensichtlich war? Warum hatte ich nie an die mög lichen Folgen unserer Lust gedacht? Wie musste es für Molly sein, das zu fürchten, was eine rechtmäßige Ehefrau ersehnte? Wonach Philia sich vergebens gesehnt hatte?
»... Seetang, FitzChivalric?«
Ich zuckte zusammen. »Wie bitte?«
»Ich sagte, wenn du einen Nachmittag lang Zeit hast, würdest du dann vielleicht Seetang für mich schnei den? Den schwarzen, krausen? Er hat um diese Jahreszeit das meiste Aroma.«
»Ich will es ver suchen«, antwortete ich geistesabwesend. Wie viele Jahre noch würde Molly sich Sorgen machen müssen? Wie viel Bitternis musste sie noch hinunterschlucken.
»Was ist es, das deinen Blick so fesselt?«
»Gar nichts. Wieso?«
»Weil ich dich zwei mal gebeten habe, von dort herunterzusteigen, damit wir den Stuhl weiterrücken können. Das war nicht das letzte Bündel.«
»Ich bitte um Entschuldigung. Letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zugemacht, deshalb bin ich heute etwas begriffsstutzig.«
»Ich gebe dir Recht. Du solltest dir angewöhnen, mehr zu schlafen.« Sie betonte diese Worte unüberhörbar. »Nun komm schon herunter, damit wir da drüben die Minze aufhängen können.«
Beim Abendessen hatte ich kaum Appetit. Edel saß allein an dem erhöhten Tisch und mach te ein verdrossenes Gesicht. Seine gewöhnliche Entourage von Spei chelleckern klüngelte an einem Tisch gleich unter ihm. Ich wusste nicht, weshalb er sich entschlossen hatte, allein zu speisen. Sein Rang gab ihm das Recht, aber weshalb diese freiwillig gewählte Isolation? Er winkte einem der Barden, die er in letzter Zeit auf die Burg ge holt hatte. Die meisten stammten aus Farrow, kultivierten den näselnden Akzent jener Provinz und huldigten der Form des langen, epischen Sprechgesangs.
Der nun auftretende
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