Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
eingeladen war, doch es geschieht nicht oft, dass sich eine Königin dieselbe Missachtung gefallen lassen muss wie ein illegitimer Neffe. Kettricken bewahrte Haltung und zeigte Brawndys Töchtern und Mussel eine in ihrer Heimat gebräuchliche Technik, Perlen in eine Stickerei einzuarbeiten. Ich lungerte in der Nähe des Tisches herum, doch bezweifelte ich, dass irgendjemand von uns mit sei nen Gedanken wirklich bei der Handarbeit war.
Wir brauchten nicht lange zu warten. Nach weniger als einer Stunde erschien Brawndy wieder in der großen Halle - mit dem Ungestüm und der Eiseskälte eines Sturmwinds. Zu Fidea sagte er: »Pack unsere Sachen!« Zu Zelerita: »Sag unseren Männern, sie sollen sich zum Abmarsch bereithalten.« Dann verbeugte er sich mit stei fer Freundlichkeit vor Kettricken. »Hoheit, wir werden Bocksburg verlassen. Da unser König und Lehns herr uns seine Hilfe versagt, muss Bearns sich selber helfen.«
»In der Tat habe ich Verständnis für Eure Eile«, erwiderte Kettricken ernst. »Doch ich wünsche trotzdem, dass Ihr mir bei einer
weiteren Mahlzeit Gesellschaft leistet. Es ist nicht gut, mit lee rem Magen eine Reise anzutreten. Sagt mir, mögt Ihr Gärten?« Ihre Frage richtete sich auch an die Töchter des Herzogs. Sie schauten ihren Vater an. Er zögerte, dann nickte er kurz.
Beide Töchter gestanden Kettricken schüchtern ein, dass sie große Freude an Gärten hatten, doch ihre Verwirrung über die Einladung war unübersehbar. Ein Garten? Mitten im Winter, während ein Sturm tobte? Ich teilte ihre Bedenken, und die Ahnung wurde zur Gewissheit, als Kettricken mich zu sich winkte.
»FitzChivalric, tu bitte, was ich dir auftrage. Rosemarie, geht mit Lord FitzChivalric in die Küche hinunter und bereite nach seinen Anweisungen einen Imbiss vor, den du zum Dachgarten hinaufbringst. Ich werde unsere Gäste dorthin geleiten.«
Ich schaute Kettricken beschwörend an. Nein. Nicht dort. Die Treppe hinaufzusteigen war für viele schon eine Zumutung, ganz zu schweigen von einer Tasse Tee auf einer sturmumtosten Turmplattform. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie vorhatte. Das Lächeln, mit dem sie meinen besorgten Blick erwiderte, war so offen und heiter wie selten zuvor. Sie griff nach des Herzogs Arm und führte ihn hi naus, während seine Töchter mit den Hofdamen der Königin ihnen folgten. Ich wandte mich an Rosemarie und gab ihr neue Anweisungen.
»Geh und hol warme Umhänge und bring sie ihnen. Ich kümmere mich um das Essen.«
Das Kind hüpfte fröhlich davon, während ich zur Küche eilte, wo ich Sa rah erzählte, was gebraucht wurde. Sie hatte im Handumdrehen eine Platte mit gewärmten Pastetchen und Glühwein gerichtet. »Nimm vorläufig das mit hinauf, ein Page bringt später mehr.« Ich musste lächeln, als ich das Tablett nahm und mich auf den Weg zum Dachgarten machte. Mochte die Königin mich Lord FitzChivalric titulieren, Sarah, die Köchin, würde nie Bedenken
haben, mir ein Tablett in die Hand zu drücken und zu sagen: »Nun lauf, Junge.« Eine beruhigende Gewissheit.
Nachdem ich die Treppe fast im Sturmschritt bewältigt hatte, blieb ich auf dem oberen Absatz stehen, um Atem zu schöpfen. Dann fühlte ich mich bereit, dem Wetter die Stirn zu bieten, und stieß die Tür auf. Draußen war es genauso ungemütlich, wie ich erwartet hatte. Die Frauen der Königin und Brawndys Tochter mit Mussel drängten sich in den kümmerlichen Schutz, den zwei Schirmwände und eine darübergespannte Leinwand boten, die im vergangenen Sommer als schattiges Plätzchen aufgebaut worden waren. Wenigstens wurde der Wind abgehalten und zum größten Teil auch der Regen. In diesem armseligen Unterschlupf stand ein kleiner Tisch, worauf ich mein Tablett absetzte. Rosemarie, warm eingepackt, stibitzte mit selbstgefälligem Lächeln eine der warmen Pastetchen, bevor Lady Modeste, die sich daran machte, die Speisen auf kleine Teller zu verteilen, ihr auf die Finger klopfen konnte.
So schnell ich konn te, füllte ich Be cher mit Glühwein für die Königin und Herzog Brawndy und be nutzte diese als Vorwand, um mich zu ihnen zu gesellen. Sie standen dicht an der Brüstung und schauten über die Zinnen auf die offene See hinaus. Der Sturm peitschte die Wogen zu weißer Gischt und machte mit perfider Missachtung die Flugversuche der Möwen zunichte. Als ich mich den beiden näherte, konnte ich sehen, dass sie miteinander sprachen, aber das Tosen des Windes hinderte mich daran, etwas zu verstehen. Zu spät
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