Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
aber die Ehrenbezeigungen gegenüber der Königin ließen darauf hoffen, dass noch nicht alles verloren war.
Zelerita und Fidea warfen beide noch einen Blick zurück, und Zelerita hob die Hand zu einem schüchternen Gruß. Ich erwiderte die Geste. Während ich ihnen nachschaute, fühlte ich mich durchgefroren bis ins Mark, und nicht nur wegen des eisigen Regens. Ich hatte an diesem Tag meinem König und meiner Kronprinzessin gedient, ja. - Aber was war mit mir? Und was mit Zelerita? Hatte Molly vielleicht doch Recht mit ihren Ängsten?
Gegen Abend suchte ich den König auf. Nicht weil er mich
etwa gerufen hätte, und nicht weil ich wegen Zelerita mit ihm sprechen wollte. Auf dem Weg zu seinen Gemächern fragte ich mich, ob ich einem Impuls von Veritas Folge leistete oder ob mein eigenes Herz mich warnte, ihn nicht im Stich zu lassen. Wallace ließ mich widerwillig und nur mit der strengen Ermahnung ein, der König sei immer noch nicht ganz er selbst und ich dürfe ihn nicht ermüden.
König Listenreich saß vor sei nem Kamin. Der Qualm von Rauchkraut hing zum Schneiden dick im Zim mer. Zu sei nen Füßen hockte der Narr, dessen Gesicht immer noch ein interessantes Farbenspiel von Purpur und Blau in allen Schattierungen aufwies. Er hatte das Glück, sich unterhalb der Ebene zu befinden, wo die Schwaden sich am dichtesten zusammenballten. Ich hatte weit weniger Glück, als ich auf dem Hocker Platz nahm, den Wallace mir in seiner unendlichen Fürsorge hinschob.
Es vergingen ein oder zwei Minuten, bis der König sich mir zuwandte und mich aus trü ben Augen musterte. »Ah, Fitz«, begrüßte er mich verspätet. »Wie ist dein Unterricht verlaufen? Ist Meister Fedwren zufrieden mit deinen Fortschritten?«
Ich schaute den Narren an, der meinen Blick nicht erwiderte, sondern verdrossen im Feuer herumstocherte.
»Ja«, antwortete ich gehorsam. »Er sagt, ich habe eine schöne Schrift.«
»Das freut mich. Eine akkurate Handschrift ist etwas, worauf man stolz sein kann. Und was ist mit unserer Vereinbarung? Habe ich mein Wort gehalten?«
Unsere alte Litanei. Noch einmal überdachte ich die Bedingungen des Handels. Er versprach mich zu speisen, zu kleiden und zu erziehen, und als Gegenleistung erwartete er meine absolute Loyalität. Die vertrauten Worte nötigten mir ein Lächeln ab, gleichzeitig schnürte es mir die Kehle zu, wenn ich daran dachte, wie wenig
von dem Mann geblieben war, von dem ich sie vernahm, und wie viel sie mich bereits gekostet hatten.
»Ja, Majestät, das habt Ihr«, antwortete ich leise.
»Gut. Dann halte auch du dein Wort.« Er sank kraftlos gegen die Rückenlehne des Polsterstuhls.
»Das werde ich, Majestät«, versprach ich und fühlte den Blick des Narren auf mir, der wie der einmal Zeuge dieses Rituals geworden war.
Ein paar Minuten herrschte Stille in dem Gemach, unterbrochen nur vom Knistern des Kaminfeuers. Dann hob der König den Kopf, wie von ei nem Geräusch aufgeschreckt. Verwirrt schaute er sich um. »Veritas? Wo ist Veritas?«
»Fort, Majestät. Er hat Bocksburg verlassen, um die Uralten zu suchen, damit sie uns helfen, die Roten Korsaren von unseren Küsten zu vertreiben.«
»Ach ja. Natürlich. Ich weiß schon. Aber einen Moment lang war mir …« Er lehnte sich wieder zurück. Plötzlich standen mir sämtliche Haare meines Körpers zu Berge. Ich konnte fühlen, wie er schwächlich von der Gabe Gebrauch machte. Sein Bewusstsein tastete nach meinem wie alte Hände auf der Suche nach einem Halt. Ich hat te angenommen, er wäre schon seit Jahren nicht mehr fähig dazu, die Gabe zu nutzen, weil er sie verbaucht hatte. Veritas hatte mir ein mal erwähnt, Listenreich bediente sich nur noch selten seiner Fähigkeit, aber für mich hatte er dies nur aus Loyalität zu seinem greisen Vater gesagt. Jetzt aber zupfte die geisterhafte Gabe an meinen Gedanken wie ungeübte Finger an den Saiten einer Harfe. Ich spürte, wie Nachtauges Nackenhaare sich bei diesem neuen Eindringling sträubten. Still, warnte ich ihn.
Ich hielt den Atem an, als mir plötz lich eine Idee kam. Ob sie wohl von Veritas inspiriert war? Ich schob alle Bedenken zur Seite und sagte mir, dass es das war, was ich meinem König vor so langer
Zeit gelobt hatte. Loyalität in allen Dingen. »Majestät?«, bat ich um seine Erlaubnis, während ich mit mei nem Hocker dichter an seinen Lehnstuhl heranrückte. Ich griff nach seiner welken Hand.
Es war wie ein Sprung in einem reißenden Strom. »Ah, Veritas, mein Junge, da
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