Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
um mehr zu sagen als unbedingt nötig.
»Wollen? Von dir? Niemals«, höhnte Serene.
Die Gabe berührte mich. Wie plump. Es war Justin, der Einlass suchte. Ich konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Zwischen dem König und Veritas aufgerieben, fühlte mein Bewusstsein sich an wie rohes Fleisch. Bei Justins unbeholfenem Sinnen war mir zumute, als wühlten Katzenkrallen in meinem Gehirn.
Abschirmen. Veritas war nur ein Flüstern. Ich machte den Versuch, mei ne Mauern aufzurichten, konnte aber nicht ge nug von meiner Substanz finden, um mich da hinter zu verschanzen. Serene lächelte.
Justin grub sich in mein Bewusstsein wie eine Hand in Pudding. Meine Sinne rebellierten. Er drang wie ein übler Gestank in meinen Kopf, die Farbe seiner Sinne erschienen mir wie ein grässliches, fauliges Grüngelb, und er klang wie schrilles Sporenklimpern. Abschirmen, drängte Veritas. Er hörte sich verzweifelt an, schwach, und ich wusste, er versuchte mit aller Kraft, die zerschlissenen Teile meines Selbst für mich zusammenzuhalten. Er
wird dich sonst aus reiner Dummheit töten. Er weiß nicht einmal, was er tut.
Hilf mir.
Von Veritas nichts. Unsere Verbindung wurde schwächer, je mehr meine Kräfte schwanden.
WIR SIND BRÜDER!
Unsichtbare Kräfte schleuderten Justin mit dem Rücken gegen die Tür, sein Hinterkopf schlug dröh nend gegen das Holz. Es war mehr als die physische Kraft der Gabe. Ich hatte kein Wort für das, was Nachtauge tat. Es war ein Zwischending. Er sandte die Macht durch einen Kanal, den die Gabe geschaffen hatte. Er attackierte Justins Körper durch Just ins Bewusstsein. Die Hände Justins flogen an seine Kehle, versuchten schnappende Kiefer abzuwehren, nach denen er nicht greifen konnte. Krallen zerfetzten Haut und überzogen unter Justins Hemd die Haut mit roten Striemen. Serene schrie laut auf, mit ei nem Ton, der mich buch stäblich wie ein Schwert durchbohrte, und stürzte sich dann auf Justin, um ihm beizustehen.
Nicht töten. Nicht töten! NICHT TÖTEN!
Nachtauge hörte mich endlich. Er ließ von Justin ab und warf ihn zur Seite wie eine tote Ratte, dann näherte er sich mir, um über mich zu wachen. Fast glaub te ich, sei nen hechelnden Atem zu hören und die Wärme seines Körpers zu spüren. Mir fehlte die Kraft, um zu fragen, was geschehen war. Ich rollte mich zwischen seinen Beinen zusammen wie ein Welpe und wusste, ich war in Sicherheit. Niemand konnte Nachtauges Verteidigung überwinden.
»Was war das? Wer war das? Was war das?«, schrie Serene mit überschnappender Stimme. Ich öff nete die Augen einen schmalen Spalt. Sie hatte die Hände in Justins Hemd gekrallt, zerrte ihn hoch und half ihm auf die Beine. An seinem Hals und an der Schulter zeigten sich rote Male, aber noch während ich hinsah, begannen
sie zu verblassen. Bald zeugte nichts mehr von Nachtauges Angriff, außer dem dunk len Fleck, der sich auf Just ins Hose ausbreitete. Die Lider fielen ihm über die verdrehten Augen. Serene schüttelte ihn wie eine Puppe. »Justin! Sieh mich an! Justin!«
»Was tut Ihr mit die sem Mann?« Die Büh nenstimme des Narren, empört und überrascht, tönte durch mein Zimmer. Hinter ihm stand die Tür weit offen. Eine Dienstmagd, den Arm voll Wäsche, ging auf dem Flur vorbei, stutzte und blieb neugierig stehen. Das kleine Mädchen, das ihr mit einem Korb folgte, kam gelaufen und spähte um den Tür rahmen herum. Der Narr stellte das Tab lett, das er trug, auf den Boden und trat nä her. »Was hat das zu bedeuten?«
»Er hat Justin angegriffen«, schluchzte Serene.
Der Narr machte ein ungläubiges Gesicht. »Er? Er sieht eher so aus, als könnte er es nicht einmal mit einem Kissen aufnehmen. Nur dich habe ich mit ei genen Augen diesen bedauernswerten Jungen misshandeln sehen.«
Serene ließ Justins Kragen los, und er sank wie ein nasser Sack vor ihren Füßen zu Boden. Der Narr blickte mitleidig auf ihn nieder.
»Armer Bursche. Hat sie versucht, dir Gewalt anzutun?«
»Sei nicht albern!« Serene war außer sich. »Er ist es gewesen!« Sie zeigte auf mich.
Der Narr schaute mich nachdenklich an. »Das ist eine schwere Anschuldigung. Sag die Wahrheit, Bastard. Hat sie wirklich versucht, dich zu bedrängen?«
»Nein.« Meine Stimme hörte sich so an, wie ich mich fühlte - krank, erschöpft, kraftlos. »Ich habe geschlafen. Sie sind heim lich in mein Zimmer gekommen. Dann …« Ich runzelte die Brauen, als forschte ich nach einer abhanden gekommenen Erinnerung. »Ich glaube, ich habe
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