Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Wunder, dass Galen dich der Gabe für unwert hielt.«
Sein Pfeil hatte sein Ziel getroffen und stak zitternd im Mittelpunkt meiner geheimsten Ängste. Ich versuchte, mir nichts anmerken
zu lassen. »Ich bin ein treuer Vasall König Listenreichs.« Mehr sagte ich nicht. Nicht in Worten. Doch ich musterte sie beide von oben bis unten, maß sie an dem, was sie sein sollten, und befand sie als mangelhaft. Wie sie mit den Füßen scharrten, die verstohlenen Blicke, die sie sich zuwarfen - jeder Ausdruck an ihnen sagte mir, dass sie Verräter waren. Sie brachten Edel die Meldungen, die sie erhielten, obwohl sie wussten, dass es ihre Pflicht gewesen wäre, dem König zu berichten. Sie waren keine willenlosen Marionetten, sie waren sich bewusst, was sie taten und was es bedeutete. Vielleicht hatte Galen ihnen die Ergebenheit für Edel ins Gehirn eingebrannt, vielleicht waren sie nicht fähig, sich gegen ihn zu wenden, aber tief in ihrem Inneren wussten sie, dass sie ihren rechtmäßigen König verrieten und damit ihren Treueeid. Ich verstaute diese Erkenntnis in einem Winkel meines Gedächtnisses; es war ein Riss, in den sich möglicherweise eines Tages ein Keil treiben ließ.
Ich trat einen Schritt auf sie zu und hatte das Vergnügen, Serene zurückweichen zu sehen, während Justin sich zwischen ihr und der Wand zusammenduckte. Leider war es nur eine leere Drohung gewesen, der ich keine Tat folgen lassen konnte. Ich kehrte ihnen den Rücken zu und öffnete meine Tür. Sieh da, ganz verstohlen fühlte ich einen heimtückischen Hauch der Gabe an den Rändern meines Bewusstseins entlangtasten. Instinktiv schirmte ich mich ab, wie Veritas es mich gelehrt hatte. »Behaltet eure Gedanken für euch selbst«, warnte ich und schloss, ohne mich nach ihnen umzusehen, die Tür. Ein Blick wäre für sie zu viel der Ehre gewesen.
Einen Moment verharrte ich regungslos und bemühte mich, tief und regelmäßig zu atmen. Die Schutzwehren um mein Bewusstsein ließ ich noch bestehen. Dann verriegelte ich die Tür sorgfältig und unternahm einen prüfenden Rundgang durch mein Zimmer.
Chade hatte mir einmal gesagt, ein Assassine wäre gut beraten, seinen Kontrahenten für klüger zu halten als sich selbst. Nur so bliebe man am Leben. Eingedenk seines Rats, vermied ich es, etwas zu berühren, für den Fall, dass es mit Gift be handelt war. Viel mehr stellte ich mich in die Mitte des Raums und schloss die Augen, um mir genau zu vergegenwärtigen, wie alles ausgesehen hatte, bevor ich hinausgegangen war. Dann machte ich die Augen wieder auf und hielt nach Veränderungen Ausschau.
Die kleine Kräuterschale mitten auf der Tru he - ich hatte sie ans hintere Ende gestellt, wo Bur rich sie bequem erreichen konnte. Also hatten sie die Truhe durchsucht. Der Gobelin mit der Darstellung von König Weise, der seit Monaten leicht schief an der Wand hing, war ge rade gerückt worden. Weiter konnte ich nichts entdecken. Eigenartig. Ich konnte mir nicht vorstellen, wonach sie gesucht haben mochten. Dass sie in meiner Kleidertruhe nachgesehen hatten, legte die Vermutung nahe, dass es sich um ei nen Gegenstand handelte, der klein genug war, um dort versteckt zu sein. Aber weshalb einen Wandteppich hochheben und dahinterspähen? Ich überlegte. Möglich, dass sie mit dem Auftrag hergekommen waren, in meinem Zimmer nach einer geheimen Tür zu suchen. Wahrscheinlich war Edel zu dem Schluss ge kommen, Lady Quendel zu töten habe allein nicht genügt, um ihn von der Laus in seinem Pelz zu befreien. Er saß uns dichter im Nacken, als Chade mir gegenüber zugegeben hatte. Gut eigentlich, dass es mir nie gelungen war herauszufinden, wie der Verschlussmechanismus an dem Zugang zu Chades geheimen Gemächern funktionierte. Andere hatten dann vielleicht ebenso wenig Glück.
Ich inspizierte jeden Gegenstand im Zimmer, bevor ich ihn in die Hand nahm. Ich sorgte dafür, dass sämtliche Essensreste dorthin verschwanden, wo niemand mehr damit in Berührung kommen würde. Ich schüttete das Wasser aus den Eimern und aus
meinem Krug zum Fenster hinaus. Dann überprüfte ich Feuerholz und Kerzen auf die Spu ren irgendwelcher Manipulationen, mein Bettzeug auf verdächtigen Staub und trennte mich widerstrebend von meinem gesamten Vorrat an Heilkräutern. Es war besser, kein Risiko einzugehen. Soweit ich festzustellen vermochte, war weder etwas aus dem Zimmer entfernt worden, noch befand sich etwas darin, was nicht hi neingehörte. Nach einiger Zeit ließ ich mich erschöpft und
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