Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
durchschaue. Doch eins weiß ich, ich habe die Pflicht, für deine Sicherheit zu sorgen, und das bedeutet, dass ich mich von dir fernhalten muss, we nigstens eine Zeit lang. Und du dich von mir. Verstehst du?«
Ein ärgerliches Funkeln trat in ihre Augen. »Ich verstehe, du willst mich in dieser Situation allein lassen.«
»Nein. Du irrst dich. Wir müssen sie glauben machen, dass es ihnen gelungen ist, dir so sehr Angst einzujagen, dass du ih nen gehorchst. Dann bist du sicher. Sie hätten keinen Grund, dich noch einmal zu quälen.«
»Sie haben mir Angst eingejagt, du Idiot«, zischte sie mich an. »Eins habe ich ge lernt. Sobald jemand weiß, dass du Angst vor ihm hast, wird er dich nie wieder in Ruhe lassen. Wenn ich ihnen jetzt gehorche, werden sie wiederkommen. Um zu sehen, wie weit sie mich treiben können, was ich aus Angst noch bereit bin, für sie zu tun.«
Das waren die Narben, die ihr Vater in ihrem Leben hinterlassen hatte. Narben, die eine Stärke waren, aber auch eine Schwäche. »Jetzt ist nicht die geeignete Zeit, sich ihnen zu widersetzen«, flüsterte ich und blickte über ihre Schulter, falls einer der Torwächter auftauchte, um nachzusehen, wohin wir verschwunden waren. »Komm mit«, sagte ich und führte sie tie fer in das Labyrinth der Nebengebäude und Schuppen. Sie ging ein Stück schweigend mit, dann riss sie plötzlich ihre Hand aus der meinen.
»Es ist an der Zeit, sich ih nen zu widersetzen«, erklärte sie. »Wenn man erst ein mal angefangen hat, es vor sich herzuschieben, dann tut man es nie mehr. Weshalb also nicht gleich?«
»Weil ich nicht will, dass du in die Sache verwickelt wirst. Ich will nicht, dass man dich verletzt. Ich will nicht, dass die Leute sagen, du wärst des Bastards Hure.« Ich brachte das Wort kaum über die Lippen.
Molly hob stolz den Kopf. »Ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen müsste«, sagte sie beherrscht. »Und du?«
»Nein. Aber …«
»›Aber‹. Dein Lieblingswort«, meinte sie bitter, wandte sich ab und ging.
»Molly!« Ich sprang ihr nach und griff nach ihrer Schulter. Sie fuhr herum und schlug mich. Nicht einfach auf die Wange, sondern es war ein satter Fausthieb auf den Mund, so dass ich einen Schritt zurücktaumelte und das Blut in meinem Mund schmeckte. Sie funkelte mich an und wartete nur darauf, dass ich noch einmal wagte, sie zu be rühren. Ich ließ es bleiben. »Es ist doch nicht so, dass ich das wehrlos hinnehme. Nur will ich nicht, dass du mit hineingezogen wirst. Gib mir eine Chance, diesen Kampf auf meine eigene Art zu führen.« Ich spürte, wie mir Blut über das Kinn lief. Ich wischte es nicht ab, damit sie Gelegenheit hatte, es sich anzusehen. »Vertraue darauf, dass ich zur richtigen Zeit die Halunken und den, der sie geschickt hat, finden und sie zur Rechenschaft ziehen werde. Auf meine Art. Gut, und nun erzähl mir von den Männern. Wie waren sie gekleidet, wie sind sie geritten? Wie haben ihre Pferde ausgesehen? Haben sie gesprochen wie die Leute in unserer Gegend oder mit einem Akzent der Inlandprovinzen? Hatten sie Bärte? Wie war die Farbe ihrer Haare und ihrer Augen?«
Ich sah ihr an, wie sie versuchte, sich die Einzelheiten des
schrecklichen Erlebnisses ins Gedächtnis zu ru fen und wie sie innerlich davor zurückschreckte. »Braun«, sagte sie schließlich. »Es waren braune Pferde, ihr Schweif und ihre Mäh ne waren schwarz. Und die Männer haben gesprochen wie wir. Einer hatte einen dunklen Bart. Glaube ich wenigstens. Es ist schwer, etwas zu sehen, wenn man mit dem Gesicht im Dreck liegt.«
»Gut. Sehr gut«, lobte ich, obwohl ich nichts Brauchbares erfahren hatte. Sie wandte den Blick von dem Blut an meinem Gesicht ab. »Molly«, sagte ich sehr ruhig und eindringlich, »ich werde nicht mehr - zu dir kommen. Vorläufig. Weil …«
»Du hast Angst.«
»Ja!«, zischte ich. »Ja, ich habe Angst. Angst, dass sie dir etwas antun oder dass sie dich töten. Und das nur, um mich zu treffen. Wenn ich zu dir komme, bringe ich dich in Gefahr.«
Sie schwieg, aber ich wusste nicht, ob sie mir zugehört hatte. Unwillkürlich schlang sie sich die Arme um ihren Oberkörper.
»Ich liebe dich zu sehr, um das zu tun.« Meine Worte hörten sich jämmerlich an, sogar in meinen eigenen Ohren.
Sie drehte sich wortlos um und ließ mich stehen. Ihr Schritt war schleppend, und sie hielt noch immer den Oberkörper umschlungen, als hätte sie Angst, in Stücke zu brechen. Ich hatte eine schmale, zutiefst einsam wirkende
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