Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
ausgesetzt worden wären. Es gibt einige Belege dafür, dass sogar noch nach der Flucht der Königin aus Bocksburg Edels Anhänger alles daransetzten, sie weiter zu verleumden, was bis hin zu der Behauptung reichte, das Kind in ihrem Leib sei nicht von Veritas gezeugt worden, sondern von seinem illegitimen Brudersohn FitzChivalric.
Doch alle Vermutungen darüber, wie ein Verbleib Kettrickens in Bocksburg den Lauf der Geschichte beeinflusst hätte, sind mittlerweile müßige Spekulation. Historische Tatsache ist, dass sie glaubte, ihr Kind hätte die besten Aussichten zu überleben, wenn es in ihrer geliebten Bergheimat zur Welt kommen würde. Ein weiterer Grund für ihre Rückkehr war, dass sie hoffte, Veritas zu finden und ihm zur Seite zu stehen, wenn er von seinem jüngeren Bruder den Thron der Sechs Provinzen zurückforderte. Ihre Bemühungen, etwas über seinen Verbleib zu erfahren, brachten ihr jedoch nur Enttäuschung und Kummer. Sie fand den Platz, wo er und seine Begleiter sich gegen unbekannte Angreifer zur Wehr gesetzt hatten, und sah die unbestattet gebliebenen Gebeine der Gefallenen, von denen die Aasfresser nicht mehr übrig gelassen hatten als verstreute Knochen und Fetzen von Kleidung. Unter diesen Überresten befanden sich auch der blaue Umhang, den Veritas beim Abschied getragen hatte sowie sein Jagdmesser. Kettricken kehrte in die königliche Residenz in Jhaampe zurück und beweinte ihren Gemahl als einen Toten.
Sie sollte jedoch nicht zur Ruhe kommen, denn noch Monate später erreichte sie Nachrichten, man habe in den Bergen hinter Jhaampe Männer umherirren sehen, die den Waffenrock von Veritas’ Leibgarde trugen. Von Dörflern angesprochen, zeigten sie große Scheu vor Menschen und lehnten trotz ihres zerlumpten Aussehens die angebotene Hilfe oder Nahrung ab. Einhellig wurden sie von denen, die ihnen begegneten, als ›ausgemergelt‹ oder ›mitleiderregend‹ beschrieben. Von Zeit zu Zeit fand eine dieser Elendsgestalten den Weg nach Jhaampe. Sie waren nicht in der Lage, auf Kettrickens Fragen nach Veritas und seinem Schicksal verständlich Auskunft zu geben. Sie konnten sich nicht einmal erinnern, wann oder unter welchen Umständen sie sich von ihm getrennt hatten. Einer wie der andere schien einzig von dem Wunsch besessen, nach Bocksburg zurückzukehren.
Im Laufe der Zeit festigte sich in Kettricken die Überzeugung, Veritas und seine Getreuen wären nicht allein durch blanken Stahl, sondern auch durch Magie besiegt worden. Sowohl die Verräter, die ihn mit Pfeil und Schwert bekämpften, als auch der verräterische Zirkel, der seine Leibgarde in Angst und Verwirrung stürzte, waren ihrer Vermutung nach von seinem jüngeren Bruder, Prinz Edel, angestiftet worden. Daher rührte auch der unstillbare Hass, den sie ihrem Schwager entgegenbrachte.
Lautes Klopfen riss mich aus dem Schlaf. Frierend vor Kälte und verstört rief ich irgendetwas nach draußen und hörte dann von dort im Flur eine Stimme sagen: »In einer Stunde brechen wir auf!«
Ich befreite mich aus verknäuelten Decken und Merles schläfriger Umarmung, suchte meine Stiefel, zog sie an und warf mir dann meinen Umhang über. Es war kalt im Zimmer. Merle hatte sich nicht gerührt, außer um an die warme Stelle zu rücken, wo ich gelegen hatte. Ich beugte mich über das Bett. »Merle?« Als sie nicht antwortete, schüttelte ich sie leicht. »Merle! In weniger als einer Stunde brechen wir auf. Du kannst nicht einfach weiterschlafen!«
Sie stieß einen gewaltigen Seufzer aus. »Geh schon vor. Ich komme gleich.« Dann wühlte sie sich nur noch tiefer zwischen die Decken. Ich zuckte mit den Schultern und ging.
Unten in der Küche hatte Pelf etliche Stapel Pfannkuchen am Herd warmgestellt. Sie reichte mir einen Teller mit Butter und Honig, und ich ließ mich nicht zweimal bitten. Das Haus, das gestern noch so ruhig gewesen war, wimmelte nun vor Menschen; wobei es sich nach der unübersehbaren Familienähnlichkeit zu urteilen, wohl allesamt um Angehörige einer Sippe handelte. Der kleine Junge mit dem gefleckten Zicklein saß am Tisch und fütterte seinen Spielgefährten mit Pfannkuchenstückchen. Von Zeit zu Zeit ertappte ich ihn dabei, wie er mich anstarrte. Als ich ihm zulächelte, machte er große Augen, rutschte vom Stuhl und trug seinen Teller weg. Das Zicklein trippelte hinter ihm her.
Nik schritt durch die Küche. Auf seinem schwarzen Wollumhang zerschmolzen frische Schneeflocken. Im Vorbeigehen fasste er mich ins Auge.
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