Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
alte Knochen«, murmelte sie vor sich hin. »Wären nicht meine alten Knochen, bräuchte ich keinen von euch. Keinen.«
Ich war heilfroh, als Merle neben mir ihr Pferd zügelte. »Sieh dir an, was für einen Gaul man mir zu reiten gegeben hat!«, beschwerte sie sich. Ihre Rappstute schüttelte die Mähne und rollte die Augen, als wollte sie sagen: Nun sieh sich einer an, was man mir als Reiter zumutet!
»Du kannst zufrieden sein. Das ist die Rasse, die man in den Bergen züchtet. Sie mögen nicht sehr edel aussehen, aber sie sind trittsicher und ausdauernd, und sie haben meistens ein sanftmütiges Wesen.«
Merle runzelte die Stirn. »Ich habe Nik gesagt, dass ich für unser Geld ein anständiges Pferd erwarte.«
In diesem Augenblick ritt Nik an uns vorbei. Sein Pferd war nicht größer als das von Merle. Sobald er sie bemerkte, schaute er rasch zur Seite. Offenbar hatte er gelernt, sich vor ihrer spitzen Zunge zu hüten. »Zeit aufzubrechen«, sagte er ruhig, aber so, dass alle es hören konnten. »Verhaltet euch nach Möglichkeit still und bleibt dicht hinter dem vor euch fahrenden Wagen. In diesem Wetter verliert man sich leichter aus den Augen als man glaubt.«
Obwohl er die Stimme kaum erhoben hatte, wurde seinen Anweisungen augenblicklich Folge geleistet. Es gab weder gebrüllte Befehle noch ein lautes Lebewohl, und dann setzte sich der Wagen vor uns auch schon schwerfällig in Bewegung. Ich nahm die Zügel auf, schnalzte mit der Zunge, und schon rollten wir nahezu geräuschlos durch einen nicht enden wollenden Vorhang aus rieselndem Schnee. Die Rappstute zerrte aufgeregt am Zügel, bis Merle ihr den Kopf freigab, dann trabte sie nach vorne, um sich den anderen Pferden an der Spitze des Wagenzugs anzuschließen. Ich war so schutzlos und allein dem Schweigen der alten Frau ausgeliefert.
Bald fand ich heraus, wie Recht Nik mit seiner Warnung gehabt hatte. Die Sonne ging auf, aber der dicht fallende Schnee dämpfte das Tageslicht zu einer milchigen Helligkeit, und die tanzenden, wie Perlmutt schimmernden Flocken verwirrten und ermüdeten das Auge. Es war ein endloser weißer Tunnel, durch den wir fuhren, und das Einzige, woran wir uns orientieren konnten, war das Heck des Wagens vor uns.
Unter Nicks Führung folgten wir nicht der Chaussee, sondern nahmen den Weg über die gefrorenen Felder und Wiesen; vor jedem Koppelzaun mussten die Reiter absteigen, um die Gatter zu öffnen und, sobald der letzte Wagen hindurchgerumpelt war, wieder zu schließen. Hinter uns füllte der Schnee die Radfurchen aus und deckte sie zu. Schon bald würde man davon keine Spuren mehr erkennen können. Einmal erspähte ich im Schneegestöber ein weiteres Bauernhaus, doch es war dunkel und schien verlassen zu sein. Kurz nach Mittag durchfuhren wir ein letztes Gattertor und holperten von dem Acker auf einen breiten Feldweg, der vielleicht einmal eine Straße gewesen war. Auch hier waren die einzigen Spuren unsere eigenen, auch hier wurden sie bald vom Schnee ausgelöscht.
Während der ganzen Zeit war meine Gefährtin so frostig und stumm gewesen wie ein Schneemann. Von Zeit zu Zeit schaute ich aus den Augenwinkeln zu ihr hin. Sie blickte starr geradeaus; ihr Oberkörper folgte dem Schwanken des Karrens. Mir fiel auf, dass sie unablässig ihre Hände massierte, als schmerzten sie. Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, dachte ich über sie nach. Offensichtlich stammte sie aus Bock, war also eine Landsmännin; der heimatliche Akzent war trotz vieler Jahre in der Fremde noch herauszuhören gewesen. Ihr Kopftuch war die Arbeit von Webern aus Chalced, aber die Stickerei an den Rändern ihres Umhangs, schwarz auf schwarz, war mir fremd.
»Du bist weit weg von Bock, Junge«, äußerte sie unvermittelt, dabei schaute sie weiterhin starr nach vorne. Etwas in ihrem Tonfall ging mir gegen den Strich.
»Ihr nicht minder, Mütterchen«, gab ich zurück.
Jetzt wandte sie den Kopf, um mich anzusehen. Ich wusste nicht genau, ob in ihren schwarzen Rabenaugen nun Belustigung oder Unmut auffunkelte. »Du hast Recht, das bin ich. Sowohl nach Jahren als auch nach Meilen, - weit weg von zu Hause.« Sie schwieg, dann fragte sie: »Weshalb willst du in die Berge?«
»Um meinen Onkel zu besuchen«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sie schnaufte verächtlich. »Ein Bursche aus Bock hat einen Onkel in den Bergen? Und du hängst so an ihm, dass du seinetwegen Kopf und Kragen riskierst?«
Ich erwiderte ihren Blick. »Er ist mein Lieblingsonkel. Und Ihr,
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