Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Freien, als einer der beiden seine schmutzige Hand hob und gegen mich richtete. »Träumt zu laut!«, beschwerte er sich aufgebracht. Worauf beide ihre Beute fallen ließen und auf mich zustürzten.
Ich fuhr herum - nur weg hier! - und prallte mit einem dritten zusammen, der eben zur Tür herein wollte. Er trug mein zweites Hemd und nicht viel mehr. Sofort schlang er die Arme um mich, um mich festzuhalten. Ich zögerte nicht, zog das Messer und stieß es ihm in den Leib. Mit lautem Geheul ließ er von mir ab und krümmte sich vor Schmerzen. Ich drängte mich an ihm vorbei.
Bruder!, rief ich mit allen Sinnen zu Nachtauge und wusste, dass er kommen würde. Doch er war zu weit entfernt, oben auf dem Hügel. Jemand sprang mir in den Rücken und warf mich zu Boden. Schreiend bäumte ich mich unter ihm auf, als plötzlich und schlagartig sämtliche Erinnerungen an Edels Kerker in mir erwachten. Panik durchflutete mich wie übles Gift. Wie in einem Alptraum war ich unfähig, mich zu bewegen. Mein Herz raste, ich konnte nicht länger atmen, und meine Hände wurden gefühllos. Ich spürte nicht, ob ich mein Messer noch umklammert hielt oder längst verloren hatte. Die Finger des Entfremdeten umfassten meine Kehle. Ich schlug blindlings um mich, nur noch besessen von dem Gedanken an Flucht und dem Wunsch, diesem Würgegriff zu entkommen. Da rettete mich sein Spießgeselle mit einem heftigen Tritt, der mich nur streifte, den Angreifer über mir aber mit voller Wucht in die Rippen traf. Ich hörte sein verzweifeltes Keuchen, und mit einer verzweifelten Kraftanstrengung vermochte ich ihn abzuschütteln. Dann warf ich mich herum, kam wieder auf die Füße und floh.
Ich lief nur noch um mein Leben. Ich spürte die Schritte eines Verfolgers hinter mir und ich glaubte, auch noch den zweiten näher kommen zu hören. Aber ich kannte die Hügel und Wiesen hier so genau wie mein Wolf. Sie folgten mir zwar in Sichtweite bis auf den steilen Hügel hinter der Hütte hinauf, doch bevor sie den Kamm erreichten, hatte ich bereits ein Versteck gefunden. Den heftigen Stürmen des letzten Winters war eine Eiche zum Opfer gefallen; im Stürzen hatte sie ihren gewaltigen Wurzelballen aus der Erde mitgerissen und mehrere kleinere Bäume erdrückt. Brombeersträucher hatten die Baumschneise erobert und das Gewirr aus Ästen, Zweigen und Wurzeln überwuchert. Ich warf mich auf den Bauch und zwängte mich dort, wo das Gestrüpp am dornigsten war, ins Halbdunkel unter dem Eichenstamm, um still liegen zu bleiben.
Ich hörte die wütenden Schreie der Entfremdeten, als sie nach mir suchten, und von Panik erfüllt errichtete ich in Windeseile die Schutzwälle um mein Bewusstsein. »Träumt zu laut«, damit hatte mich der Entfremdete beschimpft. Vielleicht berührte die Ausstrahlung der Gabe etwas in ihnen und erinnerte sie an alles, was sie verloren hatten...
... und weckte in ihnen die Lust, jeden zu töten, der noch zu fühlen imstande war? - Möglicherweise.
Bruder?
Das war Nachtauge, der irgendwie gedämpft wirkte oder aus sehr großer Entfernung zu mir dachte. Ich wagte es, mich ihm ein wenig zu öffnen.
Mir geht es gut. Wo bist du?
Gleich hier . Ich hörte ein Rascheln, und plötzlich war er bei mir und schob sich auf dem Bauch in mein Versteck. Er stieß mich mit der Nase an. Bist du verletzt?
Nein. Ich bin weggelaufen.
Klug gehandelt, bemerkte er, und ich konnte spüren, dass er es ernst meinte.
Doch ich spürte auch seine Verwunderung. Nie zuvor hatte er mich vor Entfremdeten die Flucht ergreifen sehen. Seite an Seite hatten wir uns ihnen gestellt und gegen sie gekämpft. Nun, damals war ich gut bewaffnet und gut genährt, meine Gegner hingegen waren halb tot vor Hunger und Kälte gewesen. Drei gegen einen und mit nur einem Messer als Waffe - das war ein schlechtes Kräfteverhältnis, selbst wenn man weiß, dass ein Wolf als Retter naht. Das hatte nichts mit Feigheit zu tun. Jeder Mensch hätte so gehandelt. Das sagte ich mir immer und immer wieder.
Alles ist gut, beruhigte Nachtauge mich. Willst du dieses Versteck nicht verlassen?
Gleich. Sobald sie fort sind.
Sie sind schon lange fort. Sie sind schon längst gegangen, als die Sonne hoch am Himmel stand.
Ich will nur sicher sein.
Ich bin sicher. Ich bin ihnen ein Stück gefolgt. Komm mit nach draußen, kleiner Bruder.
Ich ließ mich von ihm überreden, das Brombeergestrüpp zu verlassen. Als ich mich draußen aufrichtete, stellte ich fest, dass die Sonne schon tief im Westen
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