Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
stand. Wie viele Stunden hatte ich denn schon beinahe besinnungslos in meinem Versteck gehockt, wie eine Schnecke in ihrem Schneckenhaus? Ich klopfte mir Blätter und Erde von den Kleidern, die ich erst gestern gewaschen hatte. Daran klebte auch Blut, es war das Blut des jungen Mannes in der Türöffnung. Schon wieder Waschtag, dachte ich dumpf. Ich stellte mir vor, wie ich Wasser holte, heiß machte, die Blutflecken aus dem Stoff rieb, und dann wurde mir klar, dass es mir nicht möglich war, zurück in diese Hütte zu gehen, die mir jetzt wie eine Falle vorkam.
Aber dennoch befanden sich dort meine wenigen Besitztümer oder was immer die Entfremdeten davon übriggelassen hatten.
Erst bei Mondaufgang hatte ich den Mut gefunden, mich wieder dem Ort des Überfalls zu nähern. Es war ein klarer Vollmond, der am Himmel stand und die weitläufige Grasfläche vor der Hütte beschien. Eine Zeitlang kauerte ich auf dem Hügelkamm, spähte hinunter und hielt nach verdächtigen Schatten und Bewegungen Ausschau. Im hohen Gras ein Stück weit neben dem Eingang zur Hütte lag ein Mann. Ich starrte lange in seine Richtung und wartete auf eine Bewegung von ihm.
Er ist tot. Man kann es riechen, sagte Nachtauge.
Das war vermutlich der, mit dem ich an der Tür zusammengestoßen war. Meine Klinge musste wohl eine lebenswichtige Stelle bei ihm getroffen haben, denn er war danach nicht mehr weit gekommen. Trotzdem schlich ich mich so vorsichtig an ihn heran, als wäre er ein verwundeter Bär, doch schon aus einiger Entfernung wehte mir ein süßlicher Verwesungsgeruch entgegen. Der Tote lag mit dem Gesicht im Gras. Ich verzichtete darauf, ihn herumzudrehen. Stattdessen schlug ich einen großen Bogen und schaute durch das Fenster ins Innere der Hütte.
Es ist niemand mehr da, erinnerte Nachtauge mich ungeduldig.
Bist du sicher?
So wie ich mir ganz sicher bin, die Nase eines Wolfs und nicht einen unnützen Klumpen Fleisch zwischen den Augen zu haben. Mein Bruder...
Er ließ den Gedanken unvollendet, aber ich konnte seine Sorge um mich fühlen. Auch ich verstand mich fast selbst nicht mehr.
Zu guter Letzt tat ich den Schritt über die Schwelle. Ich überwand mich sogar, Licht zu machen, nachdem ich beim Herumtasten den Feuerstein gefunden hatte. Mit zitternden Händen suchte ich zusammen, was die Entfremdeten mir gelassen hatten und wickelte alles in meinen Umhang. Die offene Tür war eine bedrohliche schwarze Öffnung, durch die sich jederzeit wieder etwas an mich heranschleichen konnte. Bei geschlossener Tür hätte ich andererseits das Gefühl, gefangen zu sein. Es vermochte mich nicht einmal zu beruhigen, dass Nachtauge auf der Schwelle saß und Wache hielt.
Sie hatten nur mitgenommen, was für sie von unmittelbarem Nutzen war. Entfremdete dachten nicht über den Augenblick hinaus. Alles Trockenfleisch war entweder aufgegessen oder in den Schmutz geworfen worden; ich wollte nichts mehr davon haben. Sie hatten meinen Federkasten aufgebrochen, aber das Interesse daran verloren, als sie nichts Essbares darin fanden. Von dem kleineren Kasten mit meinen Kräutern und Giften hatten sie vermutlich angenommen, dass er die Tintenfässchen eines Schreibers enthielt, und ihn nicht weiter beachtet. Von meinen Kleidern fehlte nur das eine Hemd, und ich war nicht erpicht darauf, es mir zurückzuholen. Es war ohnehin voller Blut und hatte einen Riss von meiner Messerklinge. Ich nahm mein Bündel und ging über die Wiese und den Hang hinauf bis zur höchsten Stelle, von wo ich nach allen Richtungen ungehinderten Ausblick hatte. Dort setzte ich mich und packte mit zitternden Händen alles, was mir geblieben war, in meinen Winterumhang, den ich mit Lederriemen zu einem Paket verschnürte, das ich über die Schulter hängen konnte. Sobald es hell wurde, wollte ich mir eine bessere Tragevorrichtung zurechtbasteln.
»Bereit?«, fragte ich Nachtauge.
Jagen wir?
Nein. Wir brechen zu unserer Reise auf. Ich zögerte. Bist du hungrig?
Nicht sehr. Hast du es so eilig, diesen Ort zu verlassen?
Darüber brauchte ich nicht weiter nachzudenken. Ja .
Dann mach dir keine Gedanken. Wir können beide zusammen wandern und jagen.
Ich nickte, dann blickte ich zum Nachthimmel, um das Sternzeichen des Pflügers zu suchen und mich an ihm zu orientieren. »Da entlang«, sagte ich und deutete über den Hügelkamm hinweg. Der Wolf erhob sich ohne Zögern und trabte zielstrebig in die vorgegebene Richtung. Ich schulterte mein Bündel und machte mich ebenfalls auf
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