Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Schicht von meiner Salbe auf. Nachtauge zuckte einige Male, doch er ließ meine Behandlung geduldig über sich ergehen. Anschließend wandte er den Kopf und beschnüffelte die Stelle.
Gänseschmalz, bemerkte er und begann daran zu lecken. Ich ließ ihn gewähren. Die Salbe konnte ihm nicht schaden, und seine Zunge arbeitete sie weit tiefer in die Wunde ein, als meine Finger es je vermochten.
Hungrig?, fragte ich.
Nicht sehr. An der alten Mauer gibt es massenweise Mäuse. Dann, als er witterte, was ich mitgebracht hatte: Aber etwas Wild oder Rind wäre nicht schlecht.
Ich leerte den Sack auf den Boden aus. Er traf geschmäcklerisch seine Auswahl und machte sich schließlich daran, einen fleischigen Gelenkknorpel zu zerkauen. Jagen wir bald? Er spielte dabei für mich einen Entfremdeten nach.
In ein oder zwei Tagen. Das nächste Mal möchte ich mich mit einem Schwert zur Wehr setzen können.
Das glaube ich dir gerne. Kuhzähne sind keine gute Waffe. Aber warte nicht zu lange.
Wieso?
Weil ich heute welche gesehen habe. Besinnungslose. Sie hatten am Ufer eines Wassers einen verendeten Bock gefunden und aßen davon. Fauliges, stinkendes Fleisch, aber sie aßen davon. Lange wird es nicht dauern, und dann setzen sie ihre Wanderung fort.
Dann jagen wir morgen. Zeig mir, wo du sie gesehen hast. Ich schloss die Augen und ersinnte in seinen Gedanken das Stück Bachufer, das er meinte. So weit bist du gelaufen? Mit einer verletzten Schulter?
So weit war es nicht. Er prahlte. Und ich wusste, wir würden nach ihnen suchen. Allein komme ich viel schneller voran. Leichter für mich, sie erst zu finden und dich dann zu ihnen zu führen, für die Jagd.
Man kann es nicht Jagd nennen, Nachtauge.
Nein. Aber es ist etwas, das wir für unser Rudel tun.
Eine Weile leistete ich ihm schweigend Gesellschaft und sah zu, wie er an den mitgebrachten Knochen nagte. Er war merklich gewachsen. Bei gutem Futter und aus der Enge des Käfigs befreit, hatte er Gewicht und Muskeln angesetzt. Die Schneeflocken blieben auf seinem grauen, mit dickeren schwarzen Deckhaaren durchsetzten Fell liegen, ohne zu schmelzen, so dass keine Feuchtigkeit an seine Haut drang. Er hatte zudem einen gesunden Geruch und roch nicht etwa nach den ranzigen Ausdünstungen eines überfütterten Hundes, der drinnen gehalten wird und keinen Auslauf hat. Du hast mir gestern das Leben gerettet.
Du hast mich vor dem Tod in einem Käfig bewahrt.
Ich glaube, ich war so lange allein, dass ich vergessen hatte, was es bedeutet, einen Freund zu haben.
Er unterbrach seine Mahlzeit und sah genauso gutmütig wie belustigt zu mir auf. Einen Freund? Ein zu kleines Wort dafür, Bruder. Und in die falsche Richtung gedacht. Sieh nicht das in mir. Ich werde dir sein, was du mir bist. Bruder. Aber ich bin nicht alles, was du jemals brauchen wirst. Er kaute weiter an seinem Knochen, und ich kaute an dem, was er mir zu denken gegeben hatte.
Schlaf gut, Bruder, verabschiedete ich mich, als ich ging.
Er schnaufte. Schlafen? Kaum. Vielleicht bricht noch der Mond durch die Wolken und spendet mir Licht für die Jagd. Doch wenn nicht, dann werde ich schlafen.
Ich nickte und überließ ihn seinen Knochen. Auf dem Rückweg zur Burg fühlte ich mich weniger bedrückt und einsam als vorher, doch gleichzeitig bereitete es mir Gewissensbisse, dass Nachtauge sein Leben und seinen Willen so weitgehend dem meinen anpasste. Es erschien mir nicht richtig, dass er für mich Entfremdete aufspürte.
Für das Rudel. Es ist zum Nutzen des Rudels. Die Besinnungslosen versuchen, in unser Revier einzudringen. Wir dürfen es nicht zulassen. Er schien mit sich und seinem Tun im Reinen zu sein und erstaunt, dass ich mir deswegen Gedanken machte. Wie zur Bestätigung seiner Gedanken nickte ich im Dunkeln uns beiden zu, dann trat ich durch die Küchentür wieder in das Licht und die Wärme der Menschenwelt.
Während ich die Treppen zu meinem Zimmer hinaufstieg, überdachte ich, was ich in den letzten paar Tagen zustande gebracht hatte. Ich hatte beschlossen, den Welpen in die Freiheit zu entlassen. Stattdessen waren wir Brüder geworden. Es tat mir nicht leid. Ich war zu Veritas gegangen, um ihn vor neuen Entfremdeten in der Nähe von Bocksburg zu warnen. Stattdessen erfuhr ich, dass er bereits darüber Bescheid wusste, und erhielt den Auftrag, Wissen über die Uralten zusammenzutragen und nach Hinweisen auf weitere Gabenkundige zu suchen. Ich hatte ihn gebeten, Kettricken den Garten zu geben, damit sie eine
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