Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
königlichen Sitzung waren Reiter ausgesandt worden, um in den Ortschaften entlang der geplanten Route für Quartier und Proviant zu sorgen. So war zumindest zu hoffen, dass die erste Etappe der Reise schnell und verhältnismäßig bequem vonstattengehen würde.
Als seine Expedition sich an dem frostklaren Morgen zum Abmarsch rüstete, war ich der Einzige in der Menge, der Veritas nicht Lebwohl sagte. Er ruhte in meinem Kopf, still und klein wie ein Samenkorn, das auf den Frühling wartet. Beinahe ein so selbstverständlicher Bestandteil meiner Selbst wie Nachtauge.
Kettricken hatte sich entschlossen, dem Aufbruch von den Zinnen des Dachgartens aus zuzusehen. Sie hatte sich unter vier Augen von ihm verabschiedet und diesen Platz gewählt, um unbeobachtet zu bleiben, falls ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ich stand neben ihr und ertrug den Widerhall des Glücks, das sie mit Veritas in der vergangenen Woche geteilt hatte. Einerseits freute ich mich für sie, andererseits tat es mir leid, dass ihr so schnell genommen wurde, was sie gerade erst gefunden hatte. Pferde und Reiter, Packtiere und Banner entschwanden schließlich hinter einer Bergkuppe und waren nicht mehr zu sehen. Dann fühlte ich etwas, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Sie gebrauchte die alte Macht, um ihm nachzuspüren. Sehr schwach nur, doch irgendwo in meinem Herzen richtete Nachtauge sich auf und fragte: Was ist das?
Nichts. Nichts, was uns anginge. Bald werden wir zusammen jagen, mein Bruder, und das wie seit langem nicht mehr.
Für ein paar Tage nach dem Aufbruch der Reiterschar konnte ich mich beinahe wieder eines eigenen Lebens erfreuen. Es hatte mir Angst gemacht, dass Burrich zusammen mit Veritas Bocksburg verließ. Auch wenn ich verstand, was ihn drängte, seinem Kronprinzen zu folgen - ich fühlte mich danach in ihrer beider Abwesenheit schutzlos und ausgeliefert. Diese Tatsache verriet mir einiges über mich selbst, das ich lieber nicht gewusst hätte. Die andere Seite der Medaille war, dass Nachtauge und ich endlich Gelegenheit hatten, nach Lust und Laune von der Macht Gebrauch zu machen. Fast jeden Morgen befanden wir uns meilenweit von der Burg entfernt auf der Jagd. An jenen Tagen, als wir wieder auf der Suche nach Entfremdeten waren, ritt ich Rußflocke, aber die Stute konnte sich einfach nicht an den Wolf gewöhnen. Nach und nach versiegte zu meiner großen Erleichterung der Zustrom der armseligen entfremdeten Kreaturen, und wir hatten Zeit, uns vierfüßigem Wild zuzuwenden. Dabei wäre ein Reittier nur hinderlich gewesen. Nachtauge bemerkte anerkennend, dass meine körperliche Leistungsfähigkeit sich in diesem Sommer erheblich gebessert hätte. Und tatsächlich, zum ersten Mal nachdem Edel im Bergreich seine Attentate auf mich verübt hatte, fühlte ich mich wieder gesund und im Vollbesitz meiner Kräfte. Die frühmorgendlichen Jagdausflüge und die Nächte mit Molly hätten mir genügt, um mein Leben auszufüllen. Ich war zufrieden.
Es muss gerade dieser Wunsch gewesen sein, mein Leben möge immer so einfach und überschaubar bleiben, dass ich die Augen vor Dingen verschloss, die mein Idyll zu zerstören drohten. Das andauernd schöne Wetter, sagte ich mir, verhalf Veritas zu einem guten Vorwärtskommen. Ich verdrängte die Tatsache, dass ausgerechnet die Roten Korsaren ebenfalls davon profitierten, wenn wir auf uns allein angewiesen waren. Des Weiteren hielt ich mich von Edel fern und damit der plötzlichen Anhäufung gesellschaftlicher Ereignisse, die zur Folge hatten, dass Bocksburg sich zunehmend mit seinen Parteigängern füllte und in der großen Halle die Fackeln jede Nacht bis zum Morgen brannten. Serene und Justin schienen ganz gegen ihre sonstige Art allgegenwärtig zu sein. Jedes Mal, wenn ich einen Raum betrat, in dem sie sich auf hielten, spürte ich die spitzen Pfeile ihrer Abneigung. Ich begann deshalb die Gemeinschaftsräume zu meiden, wo ich entweder ihnen begegnete oder Edels Gästen, die sich an unserem zur Winterzeit sonst gewöhnlich so ruhigen Hof eingenistet hatten.
Veritas war kaum zwei Tage fort, da gingen bereits Gerüchte um, er hätte sich aufgemacht, um die Uralten zu suchen. Dafür konnte ich nicht Edel die Schuld geben. Veritas’ Begleiter hatten über den wahren Zweck ihrer Mission Bescheid gewusst. Selbst Burrich war es durch eigene Nachforschungen gelungen, diesen Grund herauszufinden. Und wenn es ihm gelang, weshalb dann auch nicht anderen? Doch als ich zwei
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